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Ausstieg vor dem Einstieg

Von Maria Katharina Moser

Gastkommentare
Maria Katharina Moser ist evangelische Pfarrerin, promovierte Sozialethikerin und Direktorin der Diakonie Österreich.
© Diakonie / Luiza Puiu

Interessierte gehen der Pflege verloren, bevor sie überhaupt mit der Ausbildung begonnen haben.


"Dann gehe ich eben nicht in die Pflege", denkt A. nach ihrem Spießrutenlauf: Sie hat "Pflegeausbildung" gegoogelt und ist auf "Job plus Ausbildung" gestoßen. "Klingt perfekt, so kann ich mir die Ausbildung leisten", denkt sie und ruft beim AMS an. Dort verweist man sie weiter an eine Stiftung. Die Dame am Telefon ist freundlich, erklärt A. eine Viertelstunde lang etwas über Fristen und verschiedene Stellen. Zunächst müsse sich A. bei einer Schule bewerben. Sie googelt wieder und findet mindestens 20 Schulen, von denen sie die erstbeste anruft. Wieder ist eine freundliche Frau am anderen Ende der Leitung. Aber wie das mit der Schule und "Job plus Ausbildung" funktioniert, kann sie leider nicht sagen. Vielleicht könne das AMS weiterhelfen?

Die Situation in der Pflege ist kritisch. Bis 2030 werden wir 75.000 zusätzliche Pflegekräfte benötigen, um die Versorgung aufrechtzuhalten. Konservativ geschätzt. Die gute Nachricht: Es gibt Interesse am Job. Die schlechte Nachricht: Nicht wenige Interessierte gehen schon auf dem Weg zur Ausbildung verloren. So wie A. gelingt es ihnen nicht, an die nötigen Informationen zu kommen.

Pflegeassistenz, Pflegefachassistenz, diplomierte/r Gesundheits- und Krankenpfleger/in, Heimhilfe, Fachsozialbetreuer/in Altenarbeit, FSB Behindertenarbeit, FSB Behindertenbegleitung, Diplomsozialbetreuer/in Altenarbeit, DSB Behindertenarbeit, DSB Behindertenbegleitung, DSB Familienarbeit - elf verschiedene Pflege- und Betreuungsberufe gibt es. Die Vielfalt, die eigentlich attraktiv wäre, wird zum Nachteil. Die Ausbildungen sind in allen Bundesländern unterschiedlich geregelt. Es gibt keine Übersicht oder zentrale Auskunftsstelle zu den Ausbildungsmöglichkeiten, weder auf Bundes- noch auf Länderebene.

Die zweite Hürde ist die Finanzierung. Auch hier muss man sich erst einmal auskennen, was alles möglich ist: arbeitsmarktnahe Qualifizierung, Fachkräftestipendium, Implacement-, Arbeits- und Pflegestiftungen, Selbsterhalterstipendium, Schulbeihilfe, Studienbeihilfe, Bildungsbonus spezial, Job plus Ausbildung . . . und die Frage: Gibt es überhaupt eine Fördermöglichkeit für mich? Wenn ja, wird das Geld reichen? Fakt ist: Eine Pflegeausbildung muss man sich leisten können.

Zwar übernehmen immer mehr Bundesländer Ausbildungskosten wie etwa Schulgeld. Aber die Deckung des Lebensunterhalts ist ein Problem, insbesondere für jene, die voll im Leben stehen und Familie haben. Berufsumsteiger müssen sich die Ausbildungszeit selbst finanzieren, die meisten Förderungen sind an Arbeitslosigkeit geknüpft. Diese Förderungen wiederum sind oft zu niedrig, wie etwa das Fachkräftestipendium mit 1.000 Euro im Monat. Ein Ausbildungsgehalt, ähnlich dem Modell für Polizeischüler, wäre ein Lösungsansatz.

Und Lösungen braucht es. Dringend. Wenn Pflegeausbildungen nicht leistbar und nicht zugänglich sind, weil man nicht durchfindet durch den Dschungel der Berufsbilder, Ausbildungswege und Finanzierungsmöglichkeiten, bleibt die vielfach im Munde geführte "Personaloffensive" eine fromme Sonntagsrede - und die Pflegereform ist gescheitert, noch bevor sie begonnen hat.