Zum Hauptinhalt springen

Chats als Weckruf

Von Peter Hilpold

Gastkommentare
Peter Hilpold ist Professor für Völkerrecht, Europarecht und Vergleichendes Öffentliches Recht an der Universität Innsbruck und Autor von mehr als 250 Publikationen. privat

Anmerkungen zum aktuellen U-Ausschuss.


Die in den vergangenen Wochen bekannt gewordenen (weiteren) Fälle von Korruption und Postenschacher haben das Land in eine Schockstarre versetzt: Dass die allseits bekannten Missstände eine derartige Dimension erreicht haben, wie die "Chats aus der Hölle" (so das geflügelte Wort für die berühmten-berüchtigten rund 300.000 Mitteilungen aus dem Maschinenraum der Politik) nahelegen, übersteigt wohl das Vorstellungsvermögen der meisten.

Nun aber erscheinen Stellungnahmen, die auf das "anständige" und "zukunftsorientierte" "So sind wir nicht"-Österreich vertrauen lassen. Tatsächlich können die genannten Vorgänge von einem Rechtsstaat nicht akzeptiert werden. In zweierlei Form ist dem entgegenzutreten:

Durch eine konsequente Verfolgung der zutage getretenen Missstände. Nicht nur die Österreicherinnen und Österreicher, sondern auch das Ausland müssen überzeugt werden, dass der Rechtsstaat auch in einer solchen Krise präsent ist.

Darüber hinaus bedarf es grundlegender Reformen. Der "Standard"-Kolumnist Hans Rauscher hat dringende Reformen in Justiz und Polizei angemahnt. Ein wichtiger Ansatz, doch darf dieser nicht punktuell bleiben, sondern muss grundlegender Natur sein. Die seit vielen Jahren geforderte Staatsreform könnte nun endlich in Gang gebracht werden.

Angesichts der publik gewordenen Missstände sind weder eine Rückkehr zur Tagesordnung noch ein Aussitzen akzeptabel. Postenschacher ist kein Kavaliersdelikt, sondern eine widerrechtliche Aneignung öffentlicher Ressourcen unter bewusster Inkaufnahme, wenn nicht sogar einer intentionalen Schädigung des Öffentlichen Dienstes. Die aufgezeigten Fälle wären auch strafrechtlich zu prüfen. Zwar ist der Tatbestand des Amtsmissbrauchs in bedenklicher Form eingeschränkt worden (auch das bedürfte einer Reform), doch zumindest die jeweiligen Aufsichtsinstanzen etwa in den Ministerien handeln hoheitlich und wären deshalb einer entsprechenden Kontrolle zu unterziehen.

Und unabhängig von der strafrechtlichen Seite wäre auf jeden Fall der ökonomische Schaden einzuklagen: Fake-Ausschreibungen, Fake-Hearings und natürlich die widerrechtliche Besetzung von Stellen verursachen Kosten, die von der Finanzprokuratur - nach Berechnung des Schadens etwa durch den Rechnungshof - einzuklagen wären.

Echte Gewaltenteilung

Darüber hinaus bedarf es aber weitergehender, grundlegender Reformen. Da wäre einmal die Justizreform: Die Loslösung der Justiz von der Politik im Sinne einer echten Gewaltenteilung ist überfällig. Ein wichtiger Schritt dorthin wäre die von kompetenter Seite (Irmgard Griss) auch in den vergangenen Jahren angeregte Schaffung einer Selbstverwaltungseinrichtung der Justiz nach ausländischem Vorbild, die dann auch - transparent! - über die Karrieren in der Justiz zu entscheiden hätte.

Zu Recht hat der Präsident des Oberlandesgerichts Innsbruck, Klaus Schröder, darauf hingewiesen, dass die reine Selbstergänzung der Gerichtsbarkeit nicht die Lösung sein kann. Hilfestellung ist allerdings nicht bei der Politik zu suchen, sondern in einer Gestaltung der Auswahlkommissionen, die eine möglichst unabhängige und objektive Entscheidungsfindung erlaubt. In anderen Rechtsordnungen ist es zum Beispiel üblich, dass in den Auswahlkommissionen für Richteramtsanwärter auch Universitätsprofessoren oder Vertreter der freien Berufe sitzen. Der Autor dieser Zeilen hat selbst schon zweimal an solchen Verfahren in Italien mitgewirkt, wobei er nur bestätigen kann, dass sich in diesen Kommissionen - bestehend aus Richtern, Staatsanwälten und Universitätsprofessoren unterschiedlichster Fachrichtungen und Universitäten - ein äußerst konstruktives und vor allem sachorientiertes Arbeitsklima etabliert hat.

Die unsägliche Bestimmung in Paragraf 35c des Staatsanwaltschaftsgesetzes, wonach es praktisch in das Belieben der Staatsanwaltschaft gestellt ist, Anzeigen nachzugehen oder auch nicht, muss dringend abgeschafft werden. Die Einrichtung einer Bundesstaatsanwaltschaft, die dann aber auch Teil des "Checks and Balances"-Prozesses sein muss, ist überfällig.

Rechtsschutz abgebaut

Der schamlose Postenschacher der vergangenen Jahre konnte auch deshalb Platz greifen, weil der Rechtsschutz im Öffentlichen Dienst systematisch abgebaut worden ist. Eine "Scheinprivatisierung", vorgeblich im Dienste der Effizienzsteigerung, hat dazu geführt, dass die Bediensteten beziehungsweise Kandidaten weitgehend rechtlos sind und sich gegen solche Schiebungen nicht zur Wehr setzen können.

Laut EU-Recht müssten zwar auch und gerade Privatbedienstete einen wirksamen Zugang zu einem Gericht haben, doch die österreichischen Gerichte verweigern die Anwendung von Artikel 47 der Grundrechte-Charta und legen trotz einer klaren EU-rechtlichen Verpflichtung für letztinstanzliche Gerichte (Artikel 267 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union) nicht vor. Im Ergebnis sind wir im Öffentlichen Dienst damit nicht nur vor 1995 stehen geblieben, sondern sogar noch weit dahinter zurückgefallen. Für den Einzelnen ist es dann oft besser, sich mit der Politik und den lokalen Machtverhältnissen zu arrangieren, und die große Karriere wird nicht durch Leistung gemacht, sondern man muss seinen Namen - wie auch immer, ausgesprochen oder implizit - in einen "Sideletter" hineinbringen.

Weshalb diese weitreichende Verweigerung gegenüber dem EU-Recht in Österreich? Der Grund mag in schierer Unkenntnis des EU-Rechts liegen, zum Teil aber auch im Bewusstsein, dass es in den vergangenen Jahren im Zusammenwirken mit den Verfassungsordnungen der EU-Mitgliedstaaten eine Konkretisierung der Rechtsstaatlichkeitsidee in die Wege geleitet hat, die grundlegende Reformen in Österreich bedingen müssten, etwa auch in Hinblick auf die Forderung nach einer "guten Verwaltung".

Eine Fügung des Schicksals hat nun einen Blick in einen Maschinenraum eröffnet, der mit Entsetzen wahrgenommen wurde. Gehen wir die längst überfälligen Reformen an, schaffen wir die dringend nötige Transparenz (Stichwort: Informationsfreiheitsgesetz), damit in Österreich Leitentscheidungen nicht "in der Hölle", sondern in der "gläsernen Kabine", durch den Anstand, der, wie ersichtlich wird, immer noch reichlich im Lande vorhanden ist, getroffen werden.