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Polit-Profis unter sich

Von Sabine M. Fischer

Gastkommentare
Sabine M. Fischer, Inhaberin von Symfony Consulting, ist Wirtschaftspädagogin und Unternehmensberaterin in Wien. Sie ist Sprecherin des Arbeitskreises Industrie 4.0/IoT und Aufsichtsratsvorsitzende des Verbandes Österreichischer Wirtschaftsakademiker sowie Fachbuchautorin.
© Symfony / Klaus Prokop

Rückwärtsgewandte Fantasielosigkeit führt uns nicht aus der demokratiepolitischen Sackgasse heraus.


Österreichs neuer Gesundheitsminister gilt als Polit-Profi. Aber was macht eigentlich einen Polit-Profi aus? Ein Scan der heimischen Politik ergibt folgendes Bild: Er ist vorwiegend männlich, langjährig hauptberuflich in der Politik tätig, bei ausreichend sozialer Geschmeidigkeit und Fotogenität am besten als Erscheinung, die für alle Interpretationen offen steht, wobei auch eine fehlende Berufsausbildung akzeptiert wird; charakterlich ein Steh-auf-Männchen, das alle persönlichen Attacken auch unter der Gürtellinie ohne sichtbare Spuren kühl wegsteckt und wirksamer (im Sinne der "Vernichtung" des Gegners) austeilen kann - nur bitte ohne Spuren auf Festplatten oder ähnlichem zu hinterlassen; ergänzend ist eine treu ergebene Prätorianertruppe mit hohem Security-Wissen empfohlen, denn der Polit-Profi kann sich schließlich nicht um alles selbst kümmern.

Für alle anderen, also Menschen wie Sie und mich, gibt es laut professionellen Politik-Beobachtern ein faktisches Betretungsverbot in den Politik-Hain zum Nutzen aller, weil wir "eh nichts weiterbekommen" würden. Unser Wissen und unsere Lebenserfahrung jenseits der Politik würden erwiesenermaßen irrelevant und störend für den erfolgreichen Ablauf im Politik-Betrieb wirken. Außerdem würden wir (und unsere Familien) die Hitze in der Politik-Küche auch menschlich nicht aushalten. Damit bliebe am besten alles, wie es Tradition hat: "Alles für das Volk, aber nichts durch das Volk" (Joseph II.), das heißt: Politiker-Elite hier, verwaltetes Volk da(runter).

Man kann die jüngste Vergangenheit aber auch anders deuten: Das exklusive "Polit-Profi-Regierungsmodell" ist schon länger ein totes Pferd, das unter dem wachsenden gegenseitigen Vertrauensverlust zusammengebrochen ist, die unseligen Corona-Demonstrationen sind nur ein Symptom dafür. Gerade angesichts von irrlichternden Autokraten diesseits und jenseits des Atlantiks müssten die Politiker-Elite und ihre professionellen Beobachter davon endlich absteigen.

Ein neues, viel zukunftsträchtigeres Pferd steht nämlich längst bereit: die regelmäßige Beteiligung von lebenserfahrenen Menschen quer durch alle Schichten, Generationen und Berufe, durch Los bestimmt, mit ernsthaften Experten an ihrer Seite und erprobten Meinungsbildungs- und Abstimmungsformen, deren Arbeitsergebnisse von den Polit-Profis in ihre Entscheidungsfindung einbezogen werden müssen. Dies würde auch die gesellschaftlich bedeutenden, aber von der Politik sträflich vernachlässigten Themen Bildung, Gesundheit/Pflege, Sicherheit und Armutsbekämpfung jenen Stellenwert geben, der ihnen für das Funktionieren einer Demokratie zukommt. Wirklich moderne, zukunftsorientierte Unternehmen, insbesondere die von der Politik so oft gerühmten Start-ups, feiern ihre Erfolge gerade aufgrund von Vielfalt und partizipativen Strukturen.

Mut auch zum demokratiepolitischen Fortschritt ist gerade angesichts der multifaktoriellen Bedrohungen in Europa und weltweit das Gebot der Stunde. Die Rolle rückwärts schafft keine krisenfeste Vertrauensbasis für tatsächliche Problemlösungen.