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Der Krieg hat kein weibliches Gesicht

Von Rita Süssmuth

Gastkommentare
Rita Süssmuth war unter anderem von 1985 bis 1988 deutsche Bundesministerin für Jugend, Familie und Gesundheit und von 1988 bis 1998 Präsidentin des Deutschen Bundestages.
© CC BY-SA 3.0 / Michael Schilling

Es ist ein Fehler, die Rechte von Frauen nur dort einzufordern, wo sie besonders stark unterdrückt oder von Krieg bedroht werden.


Im Jahr 2008 veröffentlichte die Russin Swetlana Alexijewitsch ihr Buch "Der Krieg hat kein weibliches Gesicht". Im Rahmen der Aktion "Mütter für den Frieden" schilderte es eindringlich das Leid der Mütter, deren Söhne im Krieg als "Menschenmaterial" sinnlos verheizt werden und qualvoll sterben. Für dieses Buch hat Alexijewitsch den Nobelpreis bekommen - zu Recht. Das ist für uns ein zusätzlicher Ansporn, weiterzumachen mit dem unerschrockenen Widerstand gegen Krieg und Gewalt.

Und wieder einmal sind wir Frauen notwendiger denn je, um dieses weibliche Gesicht in allen Staaten der Welt und in allen Kulturkreisen sichtbar zu machen. Wir geben nicht auf, auch nicht unser Streben nach Gleichberechtigung. Das ist ja kein Selbstzweck, sondern wir wollen die Welt besser machen - für alle, auch für die Männer. Es geht eben nicht nur um Corona, sondern es ist erneut der Hass, die Feindschaft, die Brutalität. Das muss endlich aufhören!

Am Weltfrauentag nahm ich an einer internationalen Konferenz in Berlin teil, die von Frauenverbänden des oppositionellen Nationalen Widerstandsrates im Iran organisiert wurde. An dieser Konferenz nahmen hunderte Politikerinnen und Persönlichkeiten aus der ganzen Welt teil sowie etwa 1.000 Frauen aus Ashraf 3 in Albanien - dort leben zurzeit einige tausend Mitglieder der Volksmudschahedin Iran - waren online zugeschaltet.

Der Krieg in der Ukraine war natürlich auch dabei ein Thema. Zwei Frauen aus dem ukrainischen Parlament waren ebenfalls zugeschaltet, und ihre Berichte über den Widerstand und den Kampf gegen die russische Invasion, bei dem auch Frauen zur Waffe greifen, hat viele von uns schockiert und fassungslos zurückgelassen.

Doch auch die Berichte iranischer Frauen, die seit vier Jahrzehnten unter einem frauenfeindlichen Regime leiden, sind immer wieder schockierend, obwohl ich mich schon sehr lange vor allem humanitär für den iranischen Widerstand engagiere und viele Berichte kenne. Doch hinter jedem Gesetz, jeder Anweisung, jedem Ehrenmord und jeder Kinderehe steckt ein persönliches Schicksal, und jeden von uns hätte es treffen können, wenn uns die Geburt dorthin verschlagen hätte.

Doch es ist ein Fehler, die Rechte von Frauen nur dort einzufordern, wo sie besonders stark unterdrückt werden oder wo sie sich im Krieg befinden. Zum einen werden etwa im Iran auch Männer unterdrückt, die sich nicht dem Diktat des Mullah-Regimes unterwerfen, und sie sterben ebenso an der Front oder werden in Gefängnissen zu Tode gefoltert. Wir müssen über eine generelle Neudefinition nicht nur im Umgang mit Terror-Regimen oder autoritären Regierungen nachdenken, sondern auch darüber, wie wir selbst das Ziel erreichen wollen, dass zuerst der Mensch und nicht sein Geschlecht im Vordergrund steht.

Männerhass ist nicht hilfreich

Es ist bei dieser Neuorientierung nicht hilfreich, in Männerhass zu verfallen, nur weil im Iran oder in Russland Männer regieren. Es geht nur mit einem Miteinander, mit einem gemeinsamen Denken auf Augenhöhe, wobei Respekt herrscht und nicht Hass regiert. Wir müssen zuerst einmal lernen, einen Menschen nach seinen Eigenschaften, seinem Charakter und seinem Herzen zu beurteilen. Nur dann können wir wahre Gleichberechtigung erfahren.

Wir müssen generell den Wert der Menschen erhöhen. Werte wie Freiheit, Demokratie, Menschenrechte und Würde betreffen alle Menschen - Männer, Frauen, Kinder - und auch alle anderen Lebewesen. Es muss ein generelles Umdenken beginnen, wenn wir diese Welt zu einer anderen, besseren, lebenswerteren Ordnung verändern wollen.

Dieses Umdenken kann man beim iranischen Widerstand erkennen. Frauen und Männer gehen dort gemeinsam auf die Straßen, sie bluten gemeinsam bei den brutalen Unterdrückungen durch iranische Sicherheitskräfte und leiden gemeinsam in den Gefängnissen. Sie wissen, dass es nur vereint geht, und deshalb sind solche Konferenzen auch für uns wichtig. Die Not lässt Menschen zusammenwachsen und kann uns aufzeigen, wie wir auch in Frieden und Freiheit eine Gesellschaft errichten können, die uns alle glücklicher und freier macht.

Wir müssen jetzt umdenken

Die Reaktion auf den Ukraine-Krieg ist leider nicht so erfolgt, wie es in einer weiterentwickelten Welt sein müsste. Die Lösung muss sein, alle Beteiligten zur Räson zu bringen, Konflikte im Vorfeld zu verhindern und Diktatoren klare Grenzen aufzuzeigen, bevor es zu spät ist. Dies wurde im Fall der Ukraine versäumt und noch viel mehr im Fall des Iran. Die Beschwichtigung des iranischen Regimes, das Einknicken vor seinen Erpressungen und Drohungen war falsch. Wir hätten schon von Beginn an nach Alternativen schauen sollen, wie dieses grausame Regime ein Ende finden und wie das iranische Volk dies mit weniger Blutvergießen erreichen kann.

Wenn wir eine Welt wollen, in der nicht nur Mann und Frau gleichberechtigt agieren, sondern wo die Würde aller Menschen respektiert wird, dann müssen wir jetzt umdenken. Wir brauchen eine andere Strategie für den Umgang mit Andersdenkenden und erst recht für den Umgang mit Diktatoren.

Wenn man einer guten Partnerschaft im privaten Umfeld begegnet, dann stellen wir fest, dass diese am besten gelingt, wenn beide ihre Schwächen minimieren und ihre Stärken maximieren und wenn sie fest zusammenhalten, wenn andere Menschen ihnen etwas Böses antun. Die Konferenz der iranischen Frauen in Berlin kam diesem Gedanken einer besseren Welt nahe. Dort haben Menschen über Partei- und nationale Grenzen hinweg, unabhängig vom Geschlecht gemeinsam für die größere Sache gekämpft. Sie halten zusammen und lassen sich auch von schlimmsten Verbrechen nicht überwältigen. Das ist ein Umdenken mit Neuorientierungen. Das ist die Wiedergeburt einer Widerstandskultur.

Das Verbindende suchen

Die iranische Oppositionsführerin Maryam Rajavi bezeichnete den Widerstand des ukrainischen Volkes als "Wendepunkt in der Wiederbelebung der Widerstandskultur in der heutigen Welt". Mit dem Widerstand würden die "Beschwichtigungspolitik und Passivität des Westens" herausgefordert, sagte die Präsidentin des Nationalen Widerstandsrates im Iran. "Sie standen auf und motivierten die ganze Welt zur Unterstützung."

Sie verbindet, spaltet nicht, sucht das Verbindende zwischen den unterschiedlichen Religionen, betont nicht das Trennende, sondern das Gemeinsame. Rajavi kämpft für Freiheit und Demokratie weltweit und vergisst nie dieses besondere Anliegen im Iran.