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Ein Staatsbegräbnis für die Neutralität

Von Tibor Pásztory

Gastkommentare
Tibor Pásztory ist Wirtschaftsjournalist und Historiker.
© privat

Rein politisch war Österreich nie neutral und gehört in die Nato. Den verwaschenen Ist-Zustand gilt es rasch zu bereinigen.


"Die Neutralität hat uns immer vor Krieg geschützt. Wir sind eh zu schwach, um uns zu verteidigen. Außerdem werden das im Zweifelsfall die Amerikaner für uns erledigen. Und überhaupt sind wir so lieb, uns greift keiner an. Außerdem hat schon der selige Figl den Chruschtschow unter den Tisch getrunken, so eine innige Bindung schützt doch auch."

Klingt nett, nur stimmt daran leider kein einziges Wort. Zu den historischen Fakten: Österreich hatte sich im Jahrzehnt nach dem Kriegsende 1945 zunehmend bemüht, die Besatzungsmächte in den Staatsvertragsverhandlungen (die oft genug an der Kippe standen) loszuwerden. Schließlich einigte man sich auf einen "immerwährenden" Neutralitätsstatus nach Schweizer Vorbild samt Verpflichtung zur - auch militärischen - Selbstverteidigung Österreichs.

Dass die Sowjets Österreich als einziges Land damals freiwillig verließen, lag weniger an Österreich selbst. Vielmehr sollte der Adenauer’schen Bundesrepublik Deutschland, die sich eindeutig in Richtung eines transatlantischen Bündnisses positioniert hatte, eine Karotte vor die Nase gesetzt werden, auch auf einen Neutralitätsstatus umzuschwenken, um so eine Wiedervereinigung mit der "DDR" (damals noch unter Anführungszeichen) anzustreben. Konrad Adenauer lehnte bekanntlich ab in der Haltung, dass Friede mit Freiheit verbunden sein müsse und die Ostzone eines Tages sowieso wieder mit dem Westen vereinigt sein werde. Er sollte langfristig recht behalten.

Besonders die ältere Generation argumentiert hierzulande regelmäßig, die Neutralität habe uns den Frieden erhalten. Diese Haltung übersieht aber, dass ein Ost-West-Krieg zum Glück einfach nie stattgefunden hat, der Beweis dieser These daher fehlt. Im Gegenteil, die Öffnung historischer Archive hat sie nach 1990 falsifiziert und Aufmarschpläne an die Öffentlichkeit gebracht, die auf Österreichs Neutralität nicht im Geringsten Rücksicht genommen hätten. Die vielzitierte "Panzerschlacht im Tullnerfeld" hätte also tatsächlich stattfinden können.

Keine neutrale Politik

Rein politisch war Österreich übrigens sowieso nie neutral, auch wenn es ursprünglich von den Sowjets nicht erwünscht war, dass Österreich internationalen Organisationen beitritt, denen auch Deutschland angehörte. Nur auswahlweise sei hier erwähnt: UNO-Beitritt, Schilling-Anbindung an die D-Mark, EU-Beitritt etc.

Hier kommen wir zu des Pudels Kern, denn Österreich hat sich mit seinem Beitritt zur Europäischen Union am 1. Jänner 1994 weiter aus dem Fenster gelehnt, als vielen Menschen im Land bewusst ist. Gemäß Artikel 23j des Österreichischen Bundesverfassungsgesetzes nimmt Österreich an der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GSVP) der Europäischen Union teil. Dies inkludiert neben friedenserhaltenden auch friedensschaffende Maßnahmen, zu denen auch Kampfeinsätze gehören.

Doch man ging noch weiter: Im Jahr 2009 verpflichtete sich Österreich mit Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon zu einer wechselseitigen Beistandsgarantie sämtlicher EU-Mitgliedstaaten im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines dieser Staaten. Mit anderen Worten: Fällt es Wladimir Putin morgen ein, die baltischen Staaten, Polen oder auch Finnland anzugreifen, tritt unsere Beistandsgarantie in Kraft. Diese ist (noch?) lediglich dadurch abgeschwächt, dass in der "Irischen Klausel" neutrale EU-Staaten im Rahmen einer gewissen Sonderstellung an keinen Kampfhandlungen teilnehmen müssen (sehr wohl aber können).

Inwieweit da für die österreichische Rechtslage ein Widerspruch zum Vertrag von Lissabon besteht, mögen Verfassungsjuristen klären. In der Praxis würde er aber sowieso keine besondere Rolle spielen, erweist sich doch Österreichs Außen- und Sicherheitspolitik als Widerspruch in sich beziehungsweise zum angeblichen "immerwährenden" Neutralitätsstatus.

Europäische Armee

Dankenswerterweise haben Bundeskanzler Karl Nehammer und Außenminister Alexander Schallenberg dieser Tage klar festgehalten, dass Österreich militärisch und nicht politisch neutral sei. Dass sich das russische Außenamt darüber öffentlich erbost hat, beweist dabei nur die Richtigkeit des österreichischen Vorgehens. Doch stimmt auch diese offizielle Positionierung Österreichs nicht ganz. Zur Erinnerung: Das Bundesheer beteiligte und beteiligt sich seit Jahren an zahlreichen Militärmissionen, etwa in Bosnien-Herzegowina oder Afrika. In Mali steht man derzeit als Ausbildner der Armee der berüchtigten Wagner-Gruppe gegenüber, einem russischen Söldnerheer im Dienste Putins, das derzeit auch die Ukraine terrorisiert.

Noch weiter aus dem Fenster gelehnt hat sich Österreich nur noch mit seiner seit 2012 bestehenden Beteiligung an den sogenannten EU Battle Groups, mobilen multinationalen Einsatzverbänden, die bisher nur deswegen nicht weiter auffielen, weil sie teils nur auf dem Papier bestehen. Das dürfte sich allerdings nun bald ändern.

Die Analyse des Ist-Zustandes zeigt also klar: Österreich befindet sich hier in einem landestypisch verwaschenen Zustand und sollte dies rasch bereinigen. Moralisch ist es sowieso Pflicht, politisch überfällig und militärisch alternativlos. Doch was ist der Soll-Zustand? Seit Jahren wird - noch von einer Minderheit in Österreichs Politik und Bevölkerung - der Aufbau einer Europäischen Armee gefordert. Dies ist richtig und wird hoffentlich bald einer Mehrheit im Land bewusst.

Nato als eine Art Holding?

Doch was bedeutet eigentlich "Europäische Armee"? Soll das etwa eine Alternative zur Nato sein? So naiv wird doch wohl nicht einmal der ausgeprägteste Vertreter anti-amerikanischer Gefühle sein zu glauben, dass eine solche "Nato ohne USA" (nennen wir es einmal so) gegenüber dem postsowjetischen Szenario (sowie auch anderen derzeit im Hintergrund bestehenden, jedoch trotzdem existierenden Bedrohungen) eine Chance hätte. Kurzum, eine Europäische Armee kann nur den europäischen Arm der Nato darstellen. Diese könnte ja in eine Art Holdingstruktur umfunktioniert werden, die eine nordamerikanische und eine europäische Armee umfasst, die über ein entsprechendes Verteidigungsbündnis verfügen. Erfreulich wäre hierbei auch die Bildung eines dritten Arms in Form einer Pazifischen Armee inkludierend Japan, Südkorea, Australien, Neuseeland und weitere Staaten. Damit wären sowohl Russland als auch China einigermaßen eingekreist.

Noch ein Wort zu Österreich: Wer immer sich jemals mit Militärvertretern unserer Nachbarländer - bis auf die Schweiz und Liechtenstein sämtlich Nato-Mitglieder - unterhalten hat, wurde darauf verwiesen, dass die Musik bei der Nato spiele und sonst nirgends, nur diese biete halbwegs Sicherheit. Österreich gehört da hinein, schon alleine deswegen, weil sich das Bundesheer dann endlich mit seinen Nachbarländern abstimmen könnte: Was können wir bieten, was brauchen wir von euch? Denn die Kosten, auf das Verteidigungsniveau der vergleichbaren Schweiz zu kommen, kann Österreich nicht im Entferntesten stemmen, selbst wenn dazu der politische Wille bestünde.

Österreichs Neutralität verdient ein würdiges Staatsbegräbnis mit allen Ehren - aber ein Begräbnis muss sein.