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Die Weltwirtschaft auf einem schmalen Grat

Von Alexander Eberan und Sieglinde Klapsch

Gastkommentare

Die Lieferstrukturen werden künftig besser und marktresistenter aufgebaut.


Derzeit hat die Weltwirtschaft mit einem Cocktail aus Güterknappheit, Geldschwemme und Preisanstiegen zu kämpfen. Corona hat die Schattenseiten der jahrzehntelangen Entwicklung zu immer mehr globaler und engmaschiger Arbeitsteilung offengelegt, die der Ökonom David Ricardo schon vor rund 200 Jahren beschrieb und die den Wohlstand im Westen massiv erhöhte. Vor allem die Abhängigkeit von China rächt sich bitter. Fehlte es zu Beginn der Pandemie an medizinischer Grundausrüstung wie Schutzanzügen oder Masken, reißen jetzt globale Lieferketten in vielen Bereichen des täglichen Lebens.

Hunderttausende Autos können wegen fehlender Chips nicht ausgeliefert werden, Baumaterial wird knapp, und Energie wird vor dem Winter zum Sorgenkind. Die Knappheit treibt auch viele Preise nach oben. Die Transportkosten von China nach Europa haben sich binnen eines Jahres vervielfacht. Die deutschen Autobauer fürchten für kommendes Jahr nun auch Engpässe bei Aluminium, das seit Jänner um mehr als 40 Prozent teurer wurde.

Das alles treibt die Inflation nach oben und dürfte das starke Wirtschaftswachstum im vierten Quartal deutlich bremsen. Der Rückstau soll aber nächstes Jahr im selben Ausmaß aufgeholt werden, womit sich der starke Aufschwung zeitlich nach hinten verschiebt. Bei der Inflation, die deutlich über den Zielkorridor von mittelfristig 2 Prozent gestiegen ist, wird sich der sogenannte Basiseffekt - der Preisvergleich zum Vorjahreswert - mit dem erwartbaren Anstieg der Rohölpreise ab Anfang 2022 im Vergleich zu Anfang 2021 stark abschwächen.

Darauf setzen die Notenbanken und halten sich mit Maßnahmen zur Eindämmung der expansiven Geldpolitik ausdrücklich zurück. Ein effektiver Zinsanstieg ist frühestens spät im Jahr 2022 zu erwarten. Das ist zumindest bei den hohen Schulden, die in der Pandemie gemacht wurden, günstig. Teile davon frisst die Inflation regelrecht auf.

Allerdings ist das Szenario in einem labilen Gleichgewicht. Werden die Lieferketten nicht bald grundsätzlich wiederhergestellt, könnte eine Stagflation wie in den 1970ern drohen: steigende Preise bei stagnierendem Wirtschaftswachstum. Das wäre für die Volkswirtschaften im Westen eine große Herausforderung und würde die Schwankungsbreiten auf den Märkten spürbar erhöhen. Hoffnung besteht allerdings, dass keiner der namhaften Akteure Interesse an einem Abflauen des Wirtschaftsaufschwungs hat.

Auch die Lieferengpässe sind keine Einbahnstraße. Die Zulieferer sollten sich ihrer jetzigen Marktmacht nicht allzu sicher sein, denn ihre Abnehmer werden neue Produzenten suchen und neue Kapazitäten in der Zulieferindustrie aufbauen, je länger der Flaschenhals bestehen bleibt. Reagieren dann die Zwischenhändler und geben ihre zum Teil zurückgehaltenen Waren gleichzeitig weiter, könnten sogar die Preise sinken. Auf alle Fälle werden in Zukunft die Lieferstrukturen besser und marktresistenter aufgebaut, was die Zulieferindustrie für Preisverhandlungen mittelfristig schwächen wird. Das ist vor allem ein Auftrag an die Politik in Europa, die genau definieren sollte, welche zentralen Schlüsselproduktionen man in Zukunft nicht mehr aus der Hand geben darf.