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Wofür brauchen wir eigentlich Parteien?

Von Alexander von der Decken

Gastkommentare
Alexander von der Decken war außenpolitischer Redakteur beim "Weser Kurier" und lebt heute als freier Journalist und Autor in Bremen. Er hat Philosophie und Romanistik studiert und in Barcelona gelebt.
© Alex Kurze

Der Homo Politicus verkommt zum Steigbügelhalter der Gewinnmaximierung.


Sind politische Parteien noch zeitgemäß? Jein. In einer durchökonomisierten Welt, in der man ewigliche Wachstumsfantasien Monstranzen gleich anbetet, ihre Realisierbarkeit aber ausblendet, verkommt der Homo Politicus zum Steigbügelhalter der Gewinnmaximierung. In einer Zeit, in der das Influencertum den Konsumtakt vorgibt mit Reichweitenrekorden, von denen politische Amtsträger nur träumen können, scheinen etablierte Parteien im öffentlichen Bewusstsein langsam auf das Niveau von Traditionsvereinen herabzusinken.

Finanz- und Ökonomieströme umspülen den blauen Planeten und lassen die existenziell notwendige Sozialverzahnung des Subjekts erkalten; es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis das Hinübergleiten in eine postdemokratische Makroökonomie vollzogen und das Subjekt durch das Konsumdiktat entmündigt ist. Angebot und Nachfrage sind zum Rollentausch gezwungen worden; der Markt offeriert Produkte, die um der Arbeitsplatzsicherung konsumiert werden müssen. Schützen kann die Politik vor diesem ethisch-moralisch entleerten Konsumdiktat niemanden mehr. Nomaden gleich, vegetiert der Homo Faber in seinen Lebensräumen umher auf der Suche nach Überlebensperspektiven. Alle -ismen haben es nicht vermocht, nachhaltig Lebensräume zu schaffen, in denen er freiheitlich denkend eine Lebenswahl treffen kann.

Die Idee einer offenen Gesellschaft, eines Staates der Möglichkeiten, wird einen solchen Aderlass nicht überstehen. Rückblickend gedacht, ließe sich jedes Staatswesen auch im Sinne des englischen Philosophen Thomas Hobbes organisieren - im gegenwärtigen ökonomischen Kontext allerdings in verschärfter Form: Plakativ dargestellt, hieße dies, unternehmerische Funktionsebenen zu schaffen, auf denen Expertentum vertraglich geregelte Verantwortung trägt. Man kann noch weiter zurückschauen: Schon dem griechischen Philosophen Platon schwebte vor, dass durch bewusste Auswahl nur die Geeignetsten den Staat führen sollen. Keine wirklich neuen Ideen also - die visionär betrachtet aber durchaus in eine andere Zukunft führen könnten.

Der Soziologe Harald Welzer zeigt in seinem neuen Buch "Nachruf auf mich selbst. Die Kultur des Aufhörens" die Grenzen der Wachstumsgesellschaften heutiger Prägung auf und regt an, gestalterisch im Futur II zu denken, um bei der Zukunftsgestaltung jederzeit einen Kontrollmechanismus des Ist-Zustands zu haben. Das öffnet den Raum für Bestandsaufnahmen, setzt allerdings voraus, dass der Machbarkeitsgedanke hinter die ethisch-moralische Vertretbarkeit des Tuns zurücktritt.

Wer die Fackel der freiheitlichen Idee brennend in die Zukunft tragen will, muss altmodisch anmutende Tugenden wie Verantwortung, Ehrlichkeit, Kompetenz und ethisch-freiheitliche Denken nicht nur predigen, sondern neu praktizieren, damit das Ganze dem Einzelnen dient - und nicht umgekehrt. Eine Symbiose der Zukunft.