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Die Pseudodemokratie der Ärztekammer

Von Ernest G. Pichlbauer

Gastkommentare
Dr. Ernest G. Pichlbauer ist unabhängiger Gesundheitsökonom und Publizist.

Die Wahl der Medizinervertreter interessiert die Öffentlichkeit nicht. Sollte sie aber.


Die Ärztekammer ist definitiv mächtig. Macht ist der Begriff, der benutzt wird, wenn jemand, warum auch immer, festlegen darf, was eine Ressource ist und zu welchem Ziel diese einzusetzen ist. Ein Beispiel: Wer über seine Zeit bestimmen darf und auch darüber, was er damit anfängt, hat Macht, denn er legt fest, dass die Zeit teilbar und verfügbar, also eine Ressource ist und zielgerichtet eingesetzt werden kann.

Die Macht der Ärztekammer besteht darin, dass sie entweder alleine oder aber über ein Veto-Recht festlegt, wer wann wie Arzt wird, wie viele es wo und in welcher Organisationsform geben darf und was sie tun dürfen, aber sonst niemand anderer. Einige ebenfalls mächtige Partner im Gesundheitssystem, die sich aber gerne um anderes kümmern, sind in Teilen ihrer Existenz von ihr abhängig - es geht um Arbeiter- und Wirtschaftskammern samt ihren Krankenkassen.

Würde die Ärztekammer nicht mit ihnen zusammenarbeiten, also ein vertragsloser Zustand entstehen, wären sie alle zusammen in der Gesundheitspolitik existenziell gefährdet. Andere Machthaber, die Länder, würden das Vakuum füllen. Das ist der Stellungskrieg, der seit Jahrzehnten jegliche sinnvolle Entwicklung im Keim erstickt.

Dass es so weit gekommen ist, ist dem angeborenen Trieb des Individuums, ein Monopolist zu werden, geschuldet. Dieser Trieb, gerne auch als Gier tituliert, wenn es andere betrifft, sollte durch zivilisierte Instrumente gezähmt werden, in unserem Fall durch demokratische. Doch die Machtgier steht dem entgegen und versucht sich dieser Zähmung zu entziehen. Etwas, das in der Ärztekammer grandios geglückt zu sein scheint. Eine Meinungsbildung des Wahlvolks, die bindend wäre, kann hier nicht mehr stattfinden.

Schon Sunzi, und 2.000 Jahre später Niccolò Machiavelli, war klar: "Spalte und herrsche." Die Kammerwahl tut dies. Sie findet üblicherweise in vier Sektionen statt: Bei den angestellten wird in Turnusärzte und Berufsberechtigte, bei den niedergelassenen in Allgemeinmediziner und Fachärzte gespaltet. Das Ärztevolk, es geht ja um irgendwas Demokratisches, zerfällt also in Subvölker, die ihrerseits nun in parteiische Subgruppen zerfallen - und das in jedem Bundesland. Über teils absurde Koalitionen mit Kleinstgruppen (in Wien reichen 65 Stimmen für ein Mandat im Ärzteparlament) wird dann je ein Landespräsident ernannt. Und zum Schluss wählen diese neun aus ihren Reihen den Oberpräsidenten - der vereinigt dann vielleicht 1.000 Stimmen aus vier Ärztevölkern auf sich, wird aber mit dem Recht ausgestattet, über ein anderes, sehr großes Volk - nämlich das der Pflichtversicherten - Macht auszuüben.

Bei einer derartig auseinanderdividierten Wählerschaft ist klar, dass Herrscher lange herrschen. Das wissen die auch. Daher haben die Altparteien über die Vergabe von Posten und Funktionen, ähnlich dem Verteilen von Titeln und Pfründen, eine stabile Situation für sich und die Ihren geschaffen, deren alleiniges Ziel nicht das Wohl aller Ärzte und schon gar nicht der Pflichtversicherten ist, sondern schlicht der Machterhalt. Und praktisch niemand kann das ohne Revolution ändern.