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Was 2022 von 2015 unterscheidet

Von Christian Ortner

Gastkommentare

Der Vorwurf der Ungleichbehandlung von Flüchtlingen basiert auf einem Fundamentalirrtum.


Polen hat sich seit der Migrationswelle von 2015 unter westlichen Meinungsmachern und Politikern den Ruf erarbeitet, Migranten und Asylwerbern ausgesprochen feindlich und ablehnend gegenüberzustehen. Was für ein Blödsinn das in dieser pauschalen Form ist, bewiesen die vergangenen Tage. Etwa zwei Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine strömten bisher nach Polen, und es werden immer mehr. Die fremdenfeindlichen Reaktionen beschrieb ein MDR-Reporter so: "Eine Welle der Solidarität geht durch Polen, wie sie das Land seit der Wende nicht erlebt hat. Letzten Umfragen zufolge befürwortet 86 Prozent der Polen, humanitäre Hilfe an die Ukraine zu leisten, und 75 Prozent der Befragten wollen, dass Polen Flüchtlinge aufnimmt. Im Internet wimmelt es von Anzeigen von Polinnen und Polen, die gerne Lebensmittel, Kleider und Geld spenden. Viele bieten den ukrainischen Flüchtlingen Unterkunft auf Zeit bei sich zu Hause an."

Auch in Österreich, wo die Advokaten einer wenig restriktiven Migrationspolitik, etwa Caritas-Chef Michel Landau, regelmäßig der Regierung zu viel Härte vorwerfen, werden Flüchtlinge aus der Ukraine großzügig und freundlich aufgenommen. Ein wenig muss die Stimmung 1956 und 1968 so ähnlich gewesen sein, als Hunderttausende vor den Sowjet-Panzern aus Ungarn und der Tschechoslowakei flüchteten.

Dass Polen, aber eben auch Österreicher und viele andere, geflüchteten Ukrainern gegenüber eine andere Haltung an den Tag legen als etwa Migranten, die aus der arabischen Welt, Afrika oder Afghanistan nach Europa drängen, hat dazu beigetragen, dass wohlmeinende Kommentatoren nun fragen, ob die Frauen und Kinder aus der Ukraine mehr wert seien als jene aus Aleppo - samt der impliziten Forderung, alle Migranten aus diesen Gegenden gleich wie Ukrainerinnen zu behandeln.

Doch bekanntlich ist nicht alles, was hinkt, auch ein Vergleich. Denn es liegt in der Natur des Menschen, mehr Mitgefühl für unmittelbare Nachbarn zu entwickeln als für jene, die viel weiter weg leben. Das macht entwicklungsgeschichtlich angesichts der begrenzten Ressource "Mitgefühl" ja auch durchaus Sinn und ist nicht im geringsten rassistisch.

Aus der Ukraine kommen auch fast ausschließlich Frauen, Kinder und ein paar Alte, wohingegen vor allem die Wirtschaftsmigranten aus Afrika, aber auch Teilen der arabischen Welt oft Männer sind, die ihre Frauen und Kinder daheim lassen. Das dürfte, man kann es nachvollziehen, auf die Empathie hierzulande gewisse Auswirkungen haben.

Wichtig ist auch, dass die Wertvorstellungen in der islamischen Welt, etwa im Umgang mit Frauen, sexuellen Minderheiten, anderen Religionen oder Lebensstilen mit den hiesigen nicht so ganz kompatibel sind - während Ukrainer in dieser Hinsicht nicht einmal integriert werden müssen, weil sie es de facto schon sind. Und die meisten, anders als die Migranten der Jahre 2015/2016, lieber heute als morgen wieder zurück in die Heimat wollen. So plausibel also der Vorwurf ist, wir würden hier willkürlich und ohne Grund Flüchtlinge unterschiedlich behandeln - einer Konfrontation mit den Fakten hält er nicht einmal annähernd statt.