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China rüstet weiter auf

Von Doris Vogl

Gastkommentare
Doris Vogl ist Sinologin und Politikwissenschafterin. Sie arbeitet als Gastforscherin am Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement der Landesverteidigungsakademie.
© HBF / Carina Karlovits

Sicherheitspolitische Beobachtungen zum Nationalen Volkskongress.


Vom 5. bis 11. März wurden in Peking in der Großen Halle des Volkes die jährlichen Plenarsitzungen des Nationalen Volkskongresses sowie der Politischen Konsultativkonferenz abgehalten. Die Weltöffentlichkeit war hauptsächlich mit den fatalen Folgen des Ukraine-Krieges beschäftigt und zeigte daher am Mammut-Ereignis mit rund 5.000 Delegierten weniger Interesse als die Jahre zuvor. Chinas Premier Li Keqiang präsentierte am 5. März seinen Regierungsbericht sowie die Eckdaten zum neuen Staatshaushalt.

Das jährliche Plenum des Nationalen Volkskongresses ist üblicherweise kein Gradmesser für sicherheitspolitische Entwicklungen mit Blick auf die Volksrepublik China. Doch es sind vor allem die Auslassungen und semantischen Feinheiten in den Regierungsvorlagen, Beschlüssen und Ansprachen, die interessante Hinweise liefern können.

Angesichts strikt reglementierter Programmabläufe ist der Nationale Volkskongress keineswegs ein Ort für politische Überraschungen oder kontroverse Diskussionen. Eine Kernfunktion des jährlichen Großereignisses ist vielmehr die landesweite Demonstration politischer Stabilität und Krisenfestigkeit. Sämtliche Gesetzesentwürfe, Änderungsvorschläge zur Verfassung oder Teilbudgets des Staatshaushaltes werden im Vorfeld in diversen Unterausschüssen diskutiert und durch das Führungsgremium der KP bestätigt. Es ist daher kaum erstaunlich, dass im Plenum des Nationalen Volkskongresses noch niemals ein eingebrachter Vorschlag abgelehnt wurde.

Sicherheitspolitischer Fokus auf innere Strukturen

Auffällig ist, dass weder der Regierungsbericht des Premiers noch die anderen aufs Kriegsgeschehen in der Ukraine eingehen. Ebenso wenig werden die laufenden Grenzverhandlungen mit Indien erwähnt. Hinsichtlich der Taiwan-Frage wird erst die Verpflichtung zur Entwicklung friedlicher Beziehungen gegenüber Taiwan genannt, allerdings gefolgt von der Bekräftigung des Willens zu "Wiedervereinigung" und Abwehr "separatistischer Bewegungen".

Wie im Vorjahr sind gegen Ende des Berichts einige wenige Absätze der Volksbefreiungsarmee gewidmet. Neben dem üblichen Hinweis auf Reform und Modernisierung von Logistik- und Waffenmanagementsystemen werden zwei Aspekte hervorgehoben: Verteidigungswissenschaft und -technologie sowie gegenseitige Unterstützung von Zivil- und Militärbereich. Die Schlussworte enthalten erneut eine Friedensbotschaft. So wird etwa betont, China werde weiterhin eine "unabhängige Außenpolitik des Friedens" verfolgen und den "Weg der friedlichen Entwicklung" fortsetzen.

Das findet jedoch geringen Niederschlag in den genehmigten Militärausgaben für 2022. Hier ist ein Anstieg von 7,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr vorgesehen, mehr als 2021 (6,8 Prozent) und fast so viel wie 2019 (7,5 Prozent). 2020 betrug er 6,6 Prozent. Beachtenswert war auch die Ansprache Xi Jinpings am 7. März vor den Delegierten der Volksbefreiungsarmee und der bewaffneten Volkspolizei. Es entspricht durchaus der ritualisierten Gepflogenheit, dass sich der Präsident in seiner Funktion als Vorsitzender der Zentralen Militärkommission an die bewaffneten Kräfte wendet. Dabei fällt auf, dass die Staatsmedien die Stärkung der Parteiführung für alle militärischen Bereiche als thematischen Kernpunkt nannten.

Gemäß chinesischer Amtssprache soll die "gesetzesbasierte Verwaltung von Militärangelegenheiten" weiter vorangetrieben werden. Mit anderen Worten: Zusätzliche Regularien und Vorschriften sollen die Loyalität von Volksbefreiungsarmee und bewaffneter Polizei gegenüber der KP-Führung garantieren. Dieser sicherheitspolitische Fokus auf innere Strukturen soll nicht zuletzt auf das politische Schlüsselereignis des heurigen Jahres im November - den XX. Parteitag der chinesischen KP - vorbereiten, wo die Weichen für die zukünftige Zusammensetzung der Regierung gestellt werden.

Der Nationale Volkskongress verlief laut offiziellen Medienkanälen dramaturgisch reibungslos und konnte zumindest eine Woche lang innerhalb der Grenzen Chinas die Sorge über zunehmend komplexe Risikoszenarios im Ausland und dramatisch ansteigende Covid-19-Infektionskurven im Inland verdrängen. Das seit Jahrzehnten perfekt eingespielte Prozedere in den Plenarsitzungen hat auch im heurigen Jahr "felsenfeste" Resilienz signalisiert. Für Chinas politische Führungselite ist diese Signalwirkung wichtiger denn je angesichts der derzeitigen Turbulenzen im Weltgeschehen.