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Vorbild Österreich?

Von Ralph Janik

Gastkommentare
Dr. Ralph Janik ist Lehrbeauftragter an der Universität Wien mit Schwerpunkt Völkerrecht und Menschenrechte.
© privat

Wieso eine zuletzt immer wieder vorgeschlagene Neutralität der Ukraine keinen Frieden bringen wird.


Im Zuge der Friedensverhandlungen zwischen der Ukraine und Russland wurde wiederholt die Idee ventiliert, die Ukraine zu einem neutralen Staat zu machen. Nur: Dazu braucht sie ein starkes Heer. Was Russland auch nicht akzeptieren würde.

Neutralität als Ausweg. Weder Osten noch Westen. Für österreichische Ohren klingt das wohlvertraut, hat es uns doch die Unabhängigkeit gebracht: "Nachdem die Österreicher das Wort ‚Neutralität‘ akzeptiert haben, kommen die Verhandlungen rasch zu einem Ende. Was so viele Staatsvertragskonferenzen so viele Jahre hindurch aufgehalten hat, wird jetzt in wenigen Minuten erledigt", ist in Hugo Portischs großem Standardwerk "Der lange Weg zur Freiheit" nachzulesen.

Warum sollte etwas Vergleichbares also nicht auch für die Ukraine möglich sein? Eine Verzichtserklärung, der Nato und/oder der EU beizutreten, und dafür ein Ende der russischen Aggression? Eine massive (völkerrechtlich übrigens ungültige) Einschränkung der ukrainischen Souveränität, keine Frage. Aber immer noch besser als Blutvergießen und unzählige Vertriebene.

Wenn es nur so einfach wäre. Müßig zu sagen, dass sich die Welt seit der Besatzungszeit stark verändert hat. Der alte Ost-West-Gegensatz wurde um ein komplexes Gleichgewicht mit neuen regionalen und überregionalen Machtakteuren erweitert. Die Neutralität ist nicht mehr das, was sie vielleicht ohnehin nie war: Österreich war lediglich militärisch, nicht aber ideologisch neutral. Keine Errichtung fremder Stützpunkte, keine dauerhafte Stationierung fremder Soldaten. Politisch stand bereits während der Verhandlungen zum Staatsvertrag die von Vizekanzler Adolf Schärf geäußerte Sorge vor politischem Neutralismus und Isolation vom Westen im Raum.

Was damals für Österreich galt, gilt heute für die Ukraine. Ihr Streben gen Europa und Nato ist ja gerade ein von Russland geäußerter Casus Belli. Mag man auch über die wahren Motivationen des russischen Präsidenten - es könnte auch schlichtweg die Sorge davor sein, dass eine Demokratie in einem historisch eng verbundenen Nachbarland sein System infrage stellen könnte - rätseln: Es bleibt fraglich, ob Russland eine allzu weitgehende politische oder wirtschaftliche Zusammenarbeit gutheißen würde.

Selbst wenn die Ukraine letztlich nicht politisch neutral, sondern lediglich "bündnisfrei" werden sollte (schon Bruno Kreisky verwendete diesen Begriff für unsere Neutralität), bliebe immer noch das Problem der von Russland geforderten Entmilitarisierung. Das eine widerspricht schließlich dem anderen. Sofern sie nicht von befreundeten Staaten umgeben sind, brauchen militärisch schwache Länder Sicherheitsgarantien, die allerdings der Neutralität widersprechen. Neutrale Staaten brauchen wiederum ein starkes Heer, um sowohl sich als auch ihre Neutralität zu verteidigen. Das weiß die Ukraine selbst am besten, hatte sie doch bis 2014 einen gesetzlich verankerten Status als "blockfreier" Staat - was Russland weder von der Annexion der Krim im Februar noch vom Krieg im Osten ab Juli abhielt. Frieden und Sicherheit sehen anders aus.