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Die nächste europäische Schicksalswahl in Frankreich

Von Paul Schmidt

Gastkommentare
Paul Schmidt ist Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE).
© ÖGfE

Frankreich steht vor der Wahl, sich am 24. April für die Vergangenheit oder die Zukunft zu entscheiden.


Noch vor einigen Wochen war die französische Präsidentschaftswahl für den Amtsinhaber Emmanuel Macron eine quasi sichere Bank. In Umfragen galt er - auch für die erste Runde der Wahl - als Favorit, der die stabile politische Mitte besetzte, während sich die anderen Kandidatinnen und Kandidaten die politischen Ränder streitig machten.

Macron nützte die EU-Ratspräsidentschaft Frankreichs, um die weitere Integrationsrichtung Europas abzustecken. Vorschläge zu einer wirtschaftspolitischen Neuausrichtung bis hin zur strategischen Unabhängigkeit Europas von der Sicherheits- und Verteidigungspolitik, der Digitalisierung bis zur Energie- und Gesundheitspolitik: Sie alle tragen Macrons Handschrift. Darüber hinaus lässt er nichts unversucht, um in stundenlangen Gesprächen mit Wladimir Putin und Wolodymyr Selenskyj im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu vermitteln. Zwischen europäischer Ambition und nationalem Wahlkampf war für Macron die Entscheidung klar. Beim Kampf um seine Wiederwahl will er als Politiker von Welt mit Leidenschaft für Europa- und Außenpolitik punkten und so seine Kontrahenten hinter sich lassen. In der ersten Runde ist die Rechnung allerdings so nicht aufgegangen.

Seine großen Visionen, starke Rhetorik und internationale Omnipräsenz sind einem beachtlich großen Teil der französischen Gesellschaft bislang egal. Der Balanceakt zwischen nationalem Wahlkampf und dem dringend notwendigen Dienst an Europa ist nur teilweise geglückt. In Zeiten sprunghaften Corona-Managements, galoppierender Inflation und rückläufiger Wachstums- und Beschäftigungszahlen, färbt sein internationales Engagement und Renommee wenig auf seine nationalen Popularitätswerte ab.

Die Wahlbeteiligung von Sonntag war im Vergleich zu den letzten Präsidentschaftswahlen 2017 geringer und seine direkte Gegnerin Marine Le Pen gibt sich nun moderater, ist in den französischen Regionen verankert und für viele Französinnen und Franzosen wählbar geworden. Auch in Sachen Europa hat der Rechtspopulismus diesmal sprichwörtlich Kreide gefressen. Heute würde Le Pen, so man ihr glauben möchte, weder Putin bewundern noch aus dem Euro und der EU austreten, sondern doch lieber ein Europa der Nationen und europäische Rechtsstaatssabotage à la Orbán und Kaczynski vorantreiben.

Vor fünf Jahren war für Macron seine eindeutige Haltung zu Europa das Atout seiner Wahl. Der Unmut ist seither gewachsen, wir stehen vor ungleich größeren Problemen und Europa braucht dringend einen starken wie verlässlichen Partner im Élysée Palast. Bis zur Stichwahl trennt sich aber die Spreu vom Weizen. Dient die erste Runde der Präsidentschaftswahl dazu, den Regierenden einen Denkzettel zu verpassen, stellt sich nun die Frage, ob man sich gerade in Kriegs- und Krisenzeiten in der entscheidenden Stichwahl hinter dem amtierenden Präsidenten Macron versammeln kann, um dem Neo-Nationalismus eine Absage zu erteilen. Frankreich steht vor der Wahl, sich am 24. April für die Vergangenheit oder die Zukunft zu entscheiden.