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Utopie Leben

Von Karl Pangerl

Gastkommentare
Karl Pangerl ist BHS-Lehrer in Oberösterreich. Er war Mitglied des Europäischen Forums Alpbach und ist seit 2001 Unesco-Schulreferent.
© privat

Ideologien machen sichtbar, wozu der Mensch im Guten fähig wäre.


Utopien waren immer Sehnsuchtsorte - Freiheit, Gerechtigkeit, Wohlstand, Fortschritt. Sehnsucht aber setzt das Bewusstsein eines Mangels voraus. Satte Gesellschaften müssen auf die ihnen zugrundeliegenden Irrtümer zurückgeworfen werden, um zu neuen Ufern aufbrechen zu wollen. Aussteiger, Künstler, Bettler, Kinder, Narren, Verlierer - sie sind die erste Frage auf dem Weg zur Utopie. Wo also liegen unsere Sehnsuchtsorte? Kindheitserinnerungen entspringen die Maßstäbe von Wahr und Falsch, jenes Lachen, das Licht und Farbe ins Leben bringt, und das Vertrauen als Fundament des Lebens.

Touristenströme und Welterbestätten machen Geschichte und Kultur als Sehnsuchtsorte sichtbar. Sie sind Pole der Selbstverortung. In ihnen erfährt sich der Mensch als Wesen in Raum und Zeit, findet von Relativität zu konkretem So-Sein. Der Liebe wohnt eine Sehnsucht inne, im So-Sein angenommen zu werden, um sich aus seinem Innersten heraus entfalten zu können; reich zu werden im Teilen und gerade dadurch glücklich sein zu dürfen.

Ideologien eröffnen Spannungen, Fragen, Wege, Ziele, indem sie sichtbar machen, wozu der Mensch im Guten fähig wäre, ohne es vielleicht je zu erreichen. Sie verankern den Menschen in einer Wertegemeinschaft, verbinden Individualität und soziales Gewissen, Freiheit und Sinn.

Technologien schließlich stellen jene Werkzeuge zur Verfügung, die es dem Menschen erleichtern, seine Träume zu verwirklichen.

All diesen Sehnsüchten wohnt die elementare Erfahrung inne, sich und die Welt zu fühlen. Routine, mediale Betäubung, Beschleunigung, Standardisierung, Sicherheitsfetischismus, Sattheit, Ängste - sie alle führen zum Verlust, sich zu fühlen, Herr über das eigene Leben zu sein und über dieses zu bestimmen. Dies gilt für Personen wie für Staaten, Völker und Nationen.

Utopien sind keine Frage des Alters. Für Kinder lebt Utopia in den alltäglichen Abenteuern. Jugendliche träumen von der idealen Welt. Erwachsene suchen ihre Träume in Leben zu verwandeln. Und in den Alten werden die gelebten Träume, wird die Welt zur Erzählung für die Jungen.

Nehmen wir an, die Utopie der Jungen ist, zu überleben - Klimawandel, Artensterben, Wirtschaftskrisen, Kriege, Pandemien. Überleben kann nur, wer danach strebt, die Welt zu verstehen. Die kommende Zeit eröffnet dem Menschen die Chance, sich zu seiner Mitwelt neu in Beziehung zu setzen - zur Natur, zu anderen Völkern, im Umgang mit unseren Werkzeugen in Wirtschaft und Technik; neugierig zu sein, sich berühren zu lassen.

Wo die Sprache endet, beginnt das Wunder - oder die Gewalt. In der Ukraine kulminiert die dröhnende Sprachlosigkeit einer untergegangenen Epoche. Lüge ist, dies zu verleugnen; Schuld, sich ihr noch immer anzuvertrauen. Der erste Schritt ins Morgen bedarf des Mutes aller Beteiligten, über eingefahrene Weltbilder und Denkschemata, über sich selbst hinauszuwachsen; der zweite, einander mit neuen Augen zu sehen; und der dritte, zum Miteinander im Dialog zurückzukehren.

Aufbruch in die Utopie Leben!