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Ein Weg zu ewigem Frieden

Von Christian Felber

Gastkommentare
Christian Felber ist freier Publizist und Autor von bisher 15 Büchern zur Reform der Wirtschaft, des Welthandels und des Finanzsektors. Er initiierte die Gemeinwohl-Ökonomie und die Genossenschaft für Gemeinwohl.
© Bernd-Hofmeister

Das Diskursmuster der Alternativlosigkeit tritt auch im Ukraine-Krieg in Erscheinung, eine Militarisierungsspirale beginnt sich zu drehen. Wo bleibt die Friedensoption?


Deutschland hat über Nacht beschlossen, 100 Milliarden Euro zusätzlich in die Rüstung zu investieren, Schweden und Finnland erwägen den Nato-Beitritt, Neos-Gründer Veit Dengler fordert dies im "Standard" auch für Österreich, Kriegsrhetorik hallt von Emmanuel Macron bis Annalena Baerbock ("schwere Waffen liefern"). Der Angriffskrieg Russlands auf einen souveränen Staat ist durch nichts zu rechtfertigen - so wie der Angriffskrieg der USA und ihrer Verbündeten, darunter sechs EU-Mitgliedstaaten, auf den Irak im Jahr 2003 durch nichts zu rechtfertigen war. Jeder Angriffskrieg ist falsch, und jedes Opfer ist eines zu viel.

Gleichzeitig ist jeder Krieg ein neuer Anlass, Immanuel Kants Traum vom ewigen Frieden weiterzuträumen - und weiter umzusetzen. Kant sagte einst: "So, sollte man denken, müssten gesittete Völker (jedes für sich zu einem Staat vereinigt) eilen, aus einem so verworfenen Zustande je eher desto lieber herauszukommen. (...) Dies wäre ein Völkerbund, der aber gleichwohl kein Völkerstaat sein müsste."

Der Völkerbund wurde im Jahr 1920 Realität, ein Vierteljahrhundert später die UNO. Eine der wichtigsten Errungenschaften der Menschheitsgeschichte ist noch keine 80 Jahre alt - und leidet dennoch an Kinderkrankheiten: Im Sicherheitsrat haben die Weltmächte ein Vetorecht. Dieses ist auf der anderen Medaillenseite praktisch ein Freibrief, jedes andere Land anzugreifen, ohne deshalb mit militärischen Sanktionen durch die UNO rechnen zu müssen.

Zum Glück können Kinderkrankheiten ausheilen. Auch das Wahlrecht war anfangs den Männern vorbehalten. Und das Eigentumsrecht nur dem Adel und dem Klerus. Am Anfang von großen Veränderungen standen immer langfristige Visionen. Die hier vorgebrachte Vision lautet: Wir machen den Traum von Kant schrittweise zur Realität.

Unterstützungsarmee der Armed Forces der Vereinten Nationen

Schritt eins: Eine Gruppe williger Staaten löst - dem Beispiel Costa Ricas folgend - die eigene Armee auf. Die Mitglieder investieren anfangs 50 Prozent der bisherigen Rüstungsausgaben in eine Unterstützungsarmee der Armed Forces der Vereinten Nationen. Zur Steuerung dieser Armee wird - interimistisch - eine Global Peace Treaty Organization (GPTO) gegründet. Diese ist zum militärischen Beistand verpflichtet, sobald ein Mitgliedsland militärisch angegriffen wird - wie 2003 der Irak oder 2022 die Ukraine. Gleichzeitig erhält die UN-Armee ein Verfügungsrecht über diese Armee, wenn der gegenwärtige UN-Sicherheitsrat einen Einsatz legitimiert.

Schritt zwei: Die Gruppe der Willigen dringt auf eine Reform des UN-Sicherheitsrates im Sinne des Auslaufens der Veto-Rechte einzelner UN-Mitglieder. Es gibt dann nur noch eine Klasse von UN-Mitgliedern, und der Sicherheitsrat, der aus mindestens 20 Vertretern bestehen muss, entscheidet mit qualifizierter Mehrheit - seien es zwei Drittel oder vier Fünftel -, ob ein völkerrechtswidriger Angriff vorliegt und damit eine Beistandspflicht ausgelöst wird. Solange diese Reform des Sicherheitsrates von auch nur einer Vetomacht blockiert wird, richten die GPTO-Mitglieder einen UN-Schattensicherheitsrat ein, in dem die neue Regel bereits angewandt und durch die GPTO-Armee umgesetzt wird - auch ohne offiziellen UN-Beschluss.

Auflösung der Nato und aller anderen militärischen Bündnisse

Schritt drei: Die Willigen dringen auf die Auflösung der Nato und aller anderen militärischen Bündnisse neben der UNO. Sie setzen einen globalen Abrüstungsplan auf, an dem sich "interested parties" beteiligen können, die sich der GPTO annähern, aber noch nicht zur Mitgliedschaft - und damit der Auflösung ihrer nationalen Armee - bereit sind. Der Plan besteht, vereinfacht dargestellt, in einer jährlichen Reduktion der Rüstungsausgaben um 5 Prozent und einem sukzessiven Auslaufen aller Waffenexporte.

Schritt vier: Die Mitgliedstaaten verpflichten sich zu einem globalen Waffenexportverbot. Die verbleibende Waffenproduktion geht ausschließlich an die GPTO. Der Atomwaffensperrvertrag wird um ein ABC-Waffenproduktions- und -forschungsverbot erweitert. Damit wird auch die Erforschung von Biowaffen, wie sie etwa in Wuhan vor der Corona-Pandemie stattfand, illegal.

Schritt fünf: Ist das letzte Land der GPTO beigetreten, wird die GPTO-Armee vollständig in die UN-Armee eingegliedert. Die UN-Armee wird ab diesem Zeitpunkt in einem jährlichen Abbauplan auf die mindestnötige Stärke reduziert, um die Wiederaufrüstung eines Landes zu verhindern. Spätestens ab diesem Zeitpunkt gibt es einen Sicherheitsrat der UNO ohne Vetomächte, der nach den neuen Spielregeln entscheidet. Dessen Aufgabe verlagert sich auf die Verhinderung der Remilitarisierung von Mitgliedsländern, sei es durch Regierungen oder private Milizen. Damit wäre auf globaler Ebene die Analogie zum öffentlichen Gewaltmonopol im Nationalstaat geschaffen: Der einzelne Mitgliedsstaat verzichtet auf militärische Gewalt (Verteidigung und Angriff) zugunsten eines globalen Militärmonopols. Der Völkerbund und die Vereinten Nationen waren von Beginn an das Pendant des Gesellschaftsvertrages innerhalb eines Staates. Sie waren bisher nur unvollendet, deshalb währte der Friede noch nicht ewig.

Die Friedensfrage ist letztlich eine Demokratiefrage

Einige Analytiker werden vermutlich kommentieren: Schöne Idee, doch die Regierungen machen da nicht mit. Das ist einer der Knackpunkte: Die Regierungen sind vermutlich nicht so rasch dabei, aber die Souveräne vielleicht umso schneller. GPTO-Mitglieder könnten deshalb auch als formales Aufnahmekriterium beschließen, dass Regierungen das Recht genommen wird, einen Krieg zu beginnen. So käme zusätzlich zu den internationalen Hemmungsmechanismen eine interne Kriegsbremse zum Zug.

Die Friedensfrage ist, wie jede politische Frage, letztlich eine Demokratiefrage. Wir könnten aus der aktuellen Bedrohung lernen, dass der Weg zum ewigen Frieden über eine konsequente Stärkung der Demokratie verläuft.