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Sicher ankommen

Von Amelie Herzog und Anastasia Hammerschmied

Gastkommentare

Sind Frauen aus der Ukraine ausreichend vor Menschenhandel geschützt?


In den vergangenen Wochen haben NGOs und Behörden vermehrt vor der Gefahr des Menschenhandels für Geflüchtete aus der Ukraine gewarnt. Vor allem während der Flucht und in der Zeit nach der Ankunft in den Aufnahmeländern sind Frauen gefährdet, Opfer von Menschenhandel zu werden. Neben einem Verbot und der Verfolgung von Menschenhandel müssen Aufnahmeländer wie Österreich aktiv tätig werden, um flüchtende Frauen zu schützen.

Dem österreichischen Strafgesetzbuch zufolge liegt Menschenhandel dann vor, wenn eine Person eine andere anwirbt, beherbergt oder einem anderen anbietet oder weitergibt, dabei unlautere Mittel verwendet und das Ziel hat, die Person auszubeuten. Unter unlauteren Mitteln versteht man beispielsweise die Ausnutzung einer Zwangslage. Menschenhandel wird auch als moderne Form der Sklaverei verstanden und kann in verschiedenen Gestalten auftreten wie zur sexuellen Ausbeutung oder zur Arbeitsausbeutung.

Österreich hat, neben anderen internationalen Verträgen, die Konvention des Europarats zur Bekämpfung des Menschenhandels ratifiziert. Damit wurde Menschenhandel in einen menschenrechtlichen Kontext gerückt; den beigetretenen Staaten wurden auch Schutzpflichten auferlegt.

Derzeit versuchen verschiedene Organisationen, aus der Ukraine geflüchtete Frauen über ihre Möglichkeiten und Ansprüche zu informieren und zu verdeutlichen, dass sie für Hilfeleistungen niemandem etwas schuldig sind. Der einfache Zugang zu Informationen und deren mehrmalige Wiederholung ist während der teils traumatisierenden Situation der Flucht besonders wichtig.

Menschenhandel bahnt sich oft langsam an und ist nicht immer sofort erkennbar. Gerade deshalb müssen relevante Behörden, vor allem die Polizei, die an Bahnhöfen präsent ist, diesbezüglich geschult sein. Obwohl Österreich alle relevanten internationalen Rechtsinstrumente ratifiziert hat, weisen Organisationen seit Jahren darauf hin, dass eine ausreichende Sensibilisierung fehlt. Problematisch können dabei stereotype Vorstellungen sein, etwa, dass nur junge Frauen von Menschenhandel betroffen sein können.

Das Risiko, als geflüchtete Frau Opfer von Menschenhandel zu werden, wird durch prekäre oder gar keine Unterbringung erhöht. Nach der Ankunft tausender Geflüchteter 2015 gab es viel Kritik an Massenunterkünften wie der Erstaufnahmestelle Traiskirchen, wo Frauen unter anderem keine eigenen beziehungsweise nicht einmal verschließbare Sanitäranlagen hatten.

Privat angebotenen Wohnraum überprüfen

Grundsätzlich sind sich NGOs einig, dass kleinere Wohneinheiten die sicherste Unterbringung für Geflüchtete darstellen. Durch die Bereitschaft etlicher Privatpersonen, freie Unterkünfte zur Verfügung zu stellen, ist solch eine Unterbringung derzeit möglich und wird öffentlich organisiert. Es ist jedoch wichtig, dass überprüft wird, von wem Wohnraum angeboten wird.

In internationalen Verträgen wird Vulnerabilität als ein Faktor angesehen, der das Risiko, Opfer von Menschenhandel zu werden, erhöht. Damit sind bestimmte Umstände gemeint, durch die Personen besonders gefährdet sind. Dazu gehören Geschlecht, politische Instabilität und Krieg, aber auch unsicherer Aufenthalt sowie Flucht. Mit dem Konzept muss insofern vorsichtig umgegangen werden, als nicht alle flüchtenden Frauen pauschal als Opfer betrachtet werden sollten und auch immer individuelle Faktoren eine Rolle spielen.

Die Aufnahmerichtlinie der EU legt fest, dass vulnerable Geflüchtete besonders zu schützen sind. Dazu zählen etwa Schwangere, Opfer sexueller Gewalt oder Opfer von Menschenhandel. Frauen gelten also laut EU-Recht nicht grundsätzlich als vulnerabel. Allerdings sind bei der Unterbringung auch allgemein geschlechtsspezifische Aspekte zu berücksichtigen. Grundsätzlich sollten alleinstehende Frauen in eigenen Wohneinheiten untergebracht werden, einen Rückzugsraum haben, und in den Unterkünften sollte weibliches Personal anwesend sein. Dies kann in Privatwohnungen schwer sichergestellt werden.

Dauert die Vermittlung länger, müssen viele Frauen auf Angebote auf privaten Websites ausweichen. Hier gab es laut der Interventionsstelle für Betroffene von Frauenhandel (LEFÖ/IBF) bereits mehrere Verdachtsmomente im Hinblick auf Menschenhandel. Häufig werde Mitarbeit im Haushalt oder Hilfe bei der Pflege verlangt. Das kann in schwerwiegenden Ausbeutungsverhältnissen enden, wenn Frauen keinen Lohn bekommen, nicht versichert sind oder ihnen ihre Papiere abgenommen werden.

Drittstaatsangehörige sind besonders gefährdet

Ein weiterer Faktor, der das Risiko von Menschenhandel erhöht, ist ein unsicherer oder gar kein Aufenthaltstitel. Frauen können leichter unter Druck gesetzt werden, wenn sie nicht legal arbeiten dürfen oder ihnen Abschiebung droht. Aufgrund der kürzlich in Kraft gesetzten EU-Massenzustrom Richtlinie bekommen Ukrainerinnen eine vorübergehende Aufenthaltsberechtigung und eine Arbeitserlaubnis.

Das gilt jedoch nicht für Drittstaatsangehörige, die in der Ukraine aufhältig waren und von dort fliehen mussten, außer sie hatten bereits in der Ukraine internationalen Schutz. Ist diese nicht der Fall, haben sie keinen Anspruch auf einen Aufenthaltstitel in Österreich und sind von Ausweisung und Abschiebung in ihre ursprünglichen Herkunftsländer bedroht. Diese diskriminierende Flüchtlingspolitik macht Drittstaatsangehörige besonders gefährdet für Menschenhandel.

Auch wenn Ukrainerinnen einen sicheren Aufenthalt haben, braucht es staatliche oder staatlich finanzierte Maßnahmen, um sie zu schützen. Je größer die Anzahl an Geflüchteten, desto höher ist das Risiko von Menschenhandel. Neben sexueller Ausbeutung betrifft dies im großen Rahmen auch Arbeitsausbeutung. Da große Teile des österreichischen Betreuungs- und Pflegesystems auf billigen migrantischen Arbeitskräften aufbauen, ist es wahrscheinlich, dass hier künftig auf Ukrainerinnen zurückgegriffen wird. Geflüchtete Frauen müssen angemessen unterstützt werden, damit ihre schwierige Situation nicht von Privaten ausgenutzt werden kann und um sicherzugehen, dass sie nicht von der Wohltätigkeit Einzelner oder der Aufnahmestimmung in der Gesellschaft abhängig sind.

Eine Langfassung des vorliegenden Textes erscheint in der Ausgabe 2/2022 von "Juridikum. Zeitschrift für kritik|recht|gesellschaft".