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Ein Energieembargo als Druckmittel?

Von Hans Holzinger

Gastkommentare
Hans Holzinger ist Nachhaltigkeitsexperte und Autor mehrerer Bücher zur sozialökologischen Wende. Er war in der Friedensbewegung der 1980er Jahre aktiv und sieht sich einem reflexiven Pazifismus verbunden. Zuletzt erschien sein Buch "Post-Corona-Gesellschaft".
© privat

Der Krieg in der Ukraine sollte uns zu Schritten motivieren, die auch wir spüren.


Wladimir Putins Aggressionskrieg bringt unermessliches Leid und Zerstörung über die Menschen in der Ukraine. Mit Fortdauer des Krieges steigt auch die Zahl der toten und verwundeten Soldaten auf beiden Seiten. Ohnmächtig verfolgen wir tagtäglich die Bilder des Grauens und der Verwüstung. Noch hält die Solidarität mit den Geflüchteten. Wir spenden für humanitäre Organisationen, empören uns über Putin, seine Gefolgsleute und die Brutalität seiner Armee und wähnen uns dabei auf der Seite der Guten.

Doch darüber hinaus? Das EU-Parlament hat zuletzt mit mehr als 90 Prozent der Stimmen, darunter der österreichische Abgeordnete und Vizepräsident Otmar Karas, ein Paket beschlossen, dass auch ein umfassendes Energieembargo enthält. Sanktionen dürften nicht uns treffen, sondern müssten auf die Aggressoren zielen, heißt es aber seitens vornehmlich österreichischer und deutscher Politiker, deren Länder am stärksten von russischem Gas abhängig sind. Karas wurde auch gleich heftig für seine Position kritisiert.

Mit den Importen von Öl, Gas und Kohle fließt gut eine Milliarde Dollar täglich in Putins Kriegskasse. Etwa ein Drittel des russischen Staatshaushalts basiert auf Einnahmen aus Exporten fossiler Brennstoffe. So finanzieren wir den Krieg mit, damit unsere Gebäude weiter geheizt werden und die Wirtschaft weiter brummt.

Natürlich geht es um Jobs, und an der Verringerung der Abhängigkeit von russischem Gas und Öl wird ohnehin gearbeitet. Aber der Krieg findet jetzt statt. Die Menschen sterben jetzt. Es wäre ein Zeichen der Solidarität, das über Beteuerungen des Entsetzens und der Empörung hinaus ginge, Schritte zu setzen, die auch wir spüren. Der moralische Preis, dies nicht zu tun, ist hoch, wie der britische Historiker Timothy Ash in einem Interview meinte. Ein Energieembargo wäre möglicherweise wirkungsvoller als all die versprochenen oder eingeforderten Waffenlieferungen an die Ukraine, die den Krieg verlängern. In seinem eigenen Interesse wird zum gegebenen Zeitpunkt auch Russland Unterstützung für die Energiewende brauchen - denn die Klimakrise kennt keine Grenzen.

Ein Überdenken unseres ressourcenverschlingenden Wirtschaftens ist überfällig. Die Besinnung auf unsere Grundbedürfnisse, eine rasch eingeleitete Industrie- und Mobilitätswende, die höhere Besteuerung von großen Vermögen und Luxuskonsum sowie die Ausrichtung auf einen verantwortbaren Wohlstand wären Wegmarkierungen, die die Transformation einläuten könnten. Nicht alle spüren steigende Energie- und Lebensmittelpreise gleich. Unter die Arme gegriffen werden muss jenen, die tatsächlich am materiellen Limit leben. Das hat schon die Pandemie gezeigt. Doch die Bereitschaft zu kollektivem Teilen ist leider gering. Und die Politik fürchtet konsequentere Schritte. Das Hemd weiterhin billigen Gases ist uns eben näher als der Verantwortungsrock.