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Die Inflation ist noch lange nicht fertig mit uns

Von Paul Kellermann

Gastkommentare
Paul Kellermann ist emeritierter Professor am Institut für Soziologie der Alpen-Adria-Universität.
© privat

Eigendynamiken lassen weitere Preissteigerungen erwarten.


Die Basis von Inflation und Deflation ist das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage von Gütern und Diensten als Waren. Ist hier eine Parität gegeben, ändern sich die Preise lediglich in Folge von Qualitätsentwicklungen und gegebener Konkurrenz, was aber keine Inflation bewirkt. Preissteigerungen sind also nicht in jedem Fall mit einer Inflation gleichbedeutend. Inflation geht auf das lateinische Wort "inflatio" zurück, was Blähung meint. Aufgebläht oder ausgeweitet im Verhältnis zu den Waren (Wirtschaftsleistungen) ist die Geldmenge, die auf das reale Angebot an Wirtschaftsleistungen trifft.

Dass nach vielen Jahren des vergeblichen Versuchs der Zentralbanken, eine Inflationsrate von knapp 2 Prozent zu erreichen, inflationäre Tendenzen zu erwarten waren, wurde vor kurzer Zeit klar: Weil die USA und die EU die in der Folge der Corona-Pandemie aufgetretenen Probleme (Erwerbslosigkeit, Ausfall von Arbeitskräften und Lieferketten, sinkendes Wirtschaftswachstum) durch öffentliche Investitionen und Reparaturen der verbrauchten Infrastruktur mithilfe hoher Geldbeträge lösen wollten, kam die erwerbstätige Bevölkerung zu mehr Geld; das musste zu erhöhter Nachfrage nach Wirtschaftsleistungen führen.

Nach Ausbruch des russischen Krieges gegen die Ukraine sind nicht nur erneut (nach der Pandemie) die Lieferketten fragiler geworden, sondern auch die benötigten Rohstoffe, wie vor allem Erdöl und Erdgas, wurden erheblich teurer. Beides hat die Produktion bei nur zunächst nahezu gleichbleibender Nachfrage geschwächt, was die Inflation allmählich angetrieben hat.

Diese sich beschleunigende Inflation wird nun durch die von den Zentralbanken lange Zeit aufgeblähte Geldmenge tatsächlich gefördert. Zunächst hatte die Geldpolitik der Zentralbanken in der Finanzwelt mehrere Jahre lang zu Kurssteigerungen in den Börsen und zu zuvor unvorstellbaren Preisen nicht nur von alten Kunstwerken ("Salvator Mundi") und Immobilien geführt. Dann allerdings kam es aus der Finanzwelt ebenfalls zur Nachfrage nach realen Wirtschaftsleistungen. Warum? Weil weitere Preissteigerungen erwartet werden, weshalb man sich zuvor noch eindecken möchte. Zugleich "befeuert" dies das spekulative Geschäft um Rohstoffe wie Erdgas und Erdöl wie ebenso um Ernten (Getreide etc.). Es entwickeln sich also Eigendynamiken, die weitere Preissteigerungen erwarten lassen.

Resümee: Das Angebot an Waren verringerte sich aus verschiedenen Gründen und die Nachfrage erhöhte sich, weil mehr einfache Leute zu mehr Geld durch neue öffentliche Ausgaben kommen, Geld aus der digitalen/nominellen Finanzwelt auf die reale Wirtschaftswelt trifft und Spekulationen um weitere Preissteigerungen entstanden. Die Erwartungen anhaltender Inflation veranlassen vergrößerte Nachfrage bei zurückbleibendem Angebot, was Eigendynamiken in Gang setzt.

Gesellschaftspolitisch käme es nun darauf an, die entstandenen Eigendynamiken zu "zähmen", also mit Geldausgaben - die Effekte vorausschauend - vernünftig umzugehen. Wenn das nicht geschieht, ist eine noch verhängnisvollere Austerity Policy (asoziale Sparpolitik) zu erwarten.