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Krisenbasar

Von Harald Oberhofer

Gastkommentare
Harald Oberhofer ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien und forscht am Wifo.
© Roman Reiter / WU

Winston Churchills "never let a good crisis go to waste" scheint bei den Parteien angekommen.


In Bertolt Brechts Parabelstück "Der gute Mensch von Sezuan" heißt es: "Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen / Den Vorhang zu und alle Fragen offen." Gäbe es diesen Satz nicht schon, man müsste ihn für die politische Diskussion über die möglichen Maßnahmen gegen die Folgen der aktuellen Teuerung erfinden.

In den letzten beiden Wochen hat dieses Thema die Diskussionen im Nationalrat und in der Öffentlichkeit dominiert und große Aufmerksamkeit in diversen Talkshows erhalten. In österreichischer Manier hält man sich hierbei nicht lange mit der Ursachenforschung auf, sondern wirft basarartig eine Unzahl an möglichen Maßnahmen in den politischen Ring. Winston Churchills "never let a good crisis go to waste" scheint bei den Parteien angekommen. In der Medizin wäre dieser Zugang jedoch wie eine Symptombehandlung ohne entsprechende Diagnose.

Dass Österreich als kleine Volkswirtschaft die ökonomischen Folgen der globalen Liefer- und Produktionsengpässe in Folge der Covid-19-Pandemie und der nach wie vor strikten chinesischen Coronapolitik sowie des Energiepreisschocks durch Russlands Angriff auf die Ukraine nicht direkt beseitigen kann, spielt in der Debatte offenkundig so wenig eine Rolle wie die Tatsache, dass fiskal- und geldpolitische Reaktionen auf Angebotsschocks mit schwierigen Tradeoffs konfrontiert sind. Eine Erhöhung der Staatsausgaben kann die Nachfrage stärken, würde bei unveränderter Angebotsbeschränkung aber die Inflation weiter befeuern. Eine restriktive Geldpolitik kann die Nachfrage und damit die Inflation dämpfen, wird gleichzeitig aber auch das Wirtschaftswachstum reduzieren.

Das Besondere an der aktuellen österreichischen Diskussion ist, dass kurzfristige Kompensationsmaßnahmen mit langfristigen steuer- und abgabenstrukturpolitischen Vorschlägen vermischt werden. Erstere sind aktuell notwendig, um schnell wirkungsvolle Maßnahmen auf den Weg zu bringen. Hier müsste etwa diskutiert und entschieden werden, für welche Personengruppen der Staat das individuelle Inflationsrisiko "versichern" und kompensieren möchte.

Die strukturpolitische Debatte ist von grundsätzlicherer Natur. Die Frage nach der Höhe und der Verteilung der Kosten für die Bereitstellung von öffentlichen Gütern und Dienstleistungen wie Sicherheit, sozialer Frieden, Infrastruktur, Gesundheit oder Bildung, ist ökonomisch definitiv wichtig, sie ist aber auch stark normativ geprägt. Der politische Wettbewerb wird über die Positionierungen der Parteien in diesen Fragen entschieden. Folglich werden diese Diskussionen kontrovers geführt, wie auch die zeitintensiven koalitionsinternen Verhandlungen über Steuerreformen belegen. Es soll sogar steuerpolitische Maßnahmen geben, bei denen sich im Wahlkampf alle Parlamentsparteien für ähnliche Änderungen ausgesprochen haben, die jedoch trotzdem bisher nicht umgesetzt beziehungsweise aus dem Regierungsprogramm vorgezogen wurden. Umso erstaunlicher erscheint es, dass die politische Debatte jetzt diese Strukturdiskussion ins Zentrum rückt und durch das normative Hickhack die kurzfristige Perspektive verloren zu gehen droht.

So eine Wirtschaft: Die Wirtschaftskolumne der "Wiener Zeitung". Vier Expertinnen und Experten schreiben jeden Freitag über das Abenteuer Wirtschaft.