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Putin und die Überhöhung des Männlichen

Von Sabine M. Fischer

Gastkommentare
Sabine M. Fischer, Inhaberin von Symfony Consulting, ist Wirtschaftspädagogin und Unternehmensberaterin in Wien. Sie ist Sprecherin des Arbeitskreises Industrie 4.0/IoT und Aufsichtsratsvorsitzende des Verbandes Österreichischer Wirtschaftsakademiker sowie Fachbuchautorin.
© Symfony / Klaus Prokop

Im Leid der Frauen spiegelt sich die Absurdität der Logik eines Angriffskrieges.


Das Mienenspiel verhärtet sich. Deutlich sichtbar ist das kein Thema für ihn. Spielen mit den Enkelkindern? Nicht wirklich, versteht der Zuschauer, auch wenn er kein Russisch spricht. Familie ist kein Identifikationspunkt für den mächtigen Staatsführer, nicht erwähnenswert, da spricht Wladimir Putin lieber über wirklich Wichtiges in seinem Leben: Jagd, Politik, Entscheidungen. Männlichkeit ist seines, Familie ist etwas für Weicheier, lautet der Subtext des Interviews, das der russische Präsident einem US-Talkmaster vor Jahren gab.

Aufgrund seiner Größe braucht Russland angeblich eine harte Hand. Härte, vorzugsweise von Männern ausgeführt, ist nun wieder ein Exportartikel; diesmal nicht durch Männerbündnisse wie mit der FPÖ, sondern durch militärische Invasion. Die Folge: Männer kämpfen, Frauen flüchten; hier die Täter, da die Opfer - Ausnahmen bestätigen die Regel.

4,2 Millionen Frauen sind schon ins Ausland geflüchtet, viele mit ihren Kindern auf sich gestellt. Den Zurückgebliebenen drohen Vergewaltigung, Folter oder Tod beziehungsweise erleiden sie es von Soldaten, die man nach einer russischen Redewendung nicht bedauern müsse, denn "Weiber werden andere gebären".

Im Leid der Frauen auf beiden Seiten spiegelt sich die Absurdität der Logik eines Angriffskrieges: Menschenverachtung, die zum Sieg führt, und verbrannte, menschenleere Erde als Gewinn (wenn man es denn so nennen kann).

Als Kriegsursache wird neben der Angst vor Herrschaftsverlust à la Muammar al-Gaddafi die Kränkung eines Gassenkindes in Leningrad erkannt: der kleine Wladimir, der durch harte Attacken den Angriffen anderer zuvorkommen muss, um "heil" zu bleiben, und das große, empfindliche Ego eines kleinen Mannes, der als einziger männlicher Nachkomme von seinen Eltern vergöttert wird. Was er heute als unwichtig abtut, hat Putins Ängste und Maßstäbe geprägt: die Familie.

Prekäre und/oder gewalttätige Familienverhältnisse stehen am Beginn vieler Verbrecherkarrieren. Die Menschenverachtung, mit der die eigene Bedeutung und das eigene Ego abgesichert werden sollen, verursacht immer menschliches Leid und finanzielle Kosten - bei Tätern und Opfern.

Besser wäre es, konsequent eine Gesellschaft zu finanzieren, in der die Überhöhung des Männlichen und das Recht des Stärkeren für das seelisch-emotionale Überleben eines Kindes einfach nicht mehr notwendig sind. Es wäre eine Befreiung - für Buben und für Mädchen. Was es dafür braucht? "Paläste für die Kinder", meinte schon Julius Tandler, und alles, was Frauen und Männer in ihrem Familienleben unterstützt: Menschengerechter Wohnbau, Talente fördernde Kindergärten und Schulen, Armutsbekämpfung und Rechtsstaatlichkeit.

Es geht nicht darum, auf die Russen zu zeigen, sondern unsere eigene Reflexionsfähigkeit weiterzubilden und Anti-Intellektualismus und Korruption à la Putin, Donald Trump & Co keine Chance zu geben.

Wenn wir heute denken, dass wir die moralisch Höhergestellten und die fliehenden Frauen bei uns sicher sind, dann werden wir spätestens morgen an genau diesen Standards gemessen werden.