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Das eiskalte Händchen

Von Monika Köppl-Turyna

Gastkommentare
Monika Köppl-Turyna ist Ökonomin und Direktorin des Forschungsinstituts Eco Austria.

Wer Niedrigverdiener entlasten will, kommt nicht darum herum, die Kalte Progression abzuschaffen.


Wer mehr verdient, muss einen höheren Steuersatz bezahlen. Eine Lohnerhöhung, die nur gewährt wird, um steigende Preise auszugleichen, kann dazu führen, dass die reale Kaufkraft des betroffenen Haushalts trotz höherem Einkommen schwindet. Der Grund: Die Steuerstufen werden nicht ebenfalls an die Inflation angepasst - sie greifen gewissermaßen zu früh. Der Staat generiert so zusätzliche Einnahmen. Genannt wird dieses Phänomen Kalte Progression.

Das Zusatzeinkommen durch die Kalte Progression ist komfortabel, und so erstaunt es nicht, dass gegen ihre Abschaffung gekämpft wird. Allerdings können die meisten Argumente mit wissenschaftlicher Literatur und empirischer Evidenz entkräftet werden: Zum Beispiel die Behauptung, dass die Politik durch eine Abschaffung der Kalten Progression ihre Ziele nicht erreichen und Reformen nicht durchführen könne: In der Schweiz, in Schweden, Großbritannien, Belgien, den Niederlanden, Finnland, Spanien, Frankreich, Dänemark und Norwegen ist die automatische Anpassung der Steuertarife an die Inflation längst gelebte Praxis. Schweden, Dänemark und Norwegen gelten sogar nicht nur die Inflation ab, sondern auch die Entwicklung der Nominallöhne. Die Belastung der Arbeit bleibt dort konstant - während sie hier weiter steigt. In diesen Ländern führte die Abschaffung der Kalten Progression zu einem höheren Effizienzdruck auf den öffentlichen Sektor und war geradezu die Voraussetzung dafür, dass wichtige Reformen überhaupt angepackt wurden. Hierzulande drängt sich hingegen der Eindruck auf, dass sich zu wenig ändert, weil immer genug Geld nachkommt, um sich nicht verbessern zu müssen.

Aus makroökonomischer Sicht wird angeführt, dass die Kalte Progression zur Stabilisierung der Volkswirtschaft beitrage. Im Gegenteil wirkt die steigende Belastung der Haushaltseinkommen in einem Abschwung aber zusätzlich verstärkend. Und eine konjunkturstabilisierende Wirkung kann nur eintreten, wenn zusätzliche Einnahmen nicht wieder für Zusätzliches ausgegeben werden. Der durch die Kalte Progression ausgelöste Anstieg des Durchschnittssteuersatzes kann überdies zusätzliche Lohnforderungen provozieren und so die Inflation weiter anheizen. Das gilt vor allem im Fall einer importierten Inflation, wie wir sie aktuell erleben. Eine Schwächung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit ist die Folge - und mit ihr eine Verstärkung der wirtschaftlichen Krise. Außerdem könnten sich auch Steuerreformen zur Abgeltung der Kalten Progression makroökonomisch auswirken - ob stabilisierend oder schwächend, hängt von ihrem Zeitpunkt ab. In der Vergangenheit folgten Steuerreformen mehr dem Wahl- als dem Konjunkturzyklus, was gegen eine Stabilisierungswirkung spricht.

Dass Besserverdiener am meisten von einer Abschaffung profitieren würden, ist ebenfalls nicht richtig. Mehrere Studien zeigen, dass Personen mit geringerem Einkommen stärker betroffen sind als andere Einkommensgruppen; vor allem dann, wenn inflationsbedingt die Einkommen den Steuerfreibetrag überschreiten. Dies gilt, wie viele Analysen zeigen, auch in Österreich. Wer Niedrigverdiener entlasten will, kommt also um eine Abschaffung der Kalten Progression gar nicht herum.

So eine Wirtschaft: Die Wirtschaftskolumne der "Wiener Zeitung". Vier Expertinnen und Experten schreiben jeden Freitag über das Abenteuer Wirtschaft.