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Die vergebene Nato-Chance

Von Christian Ortner

Gastkommentare

"Wir sind eh von Nato-Staaten umgeben" ist kein taugliches Argument gegen einen Beitritt zum Bündnis.


Wer einen kleinen Vorgeschmack bekommen will, wie intellektuell offen und hochwertig der politische Diskurs in grundsätzlichen Fragen der Republik wohl bei einer Regierung von SPÖ und ÖVP nach den nächsten Wahlen wäre, braucht sich nur anzusehen, wie die beiden Parteien diese Woche die Frage von Österreich, Neutralität und Nato behandelten: mit einem klaren Ende der Debatte, lange bevor diese überhaupt begonnen hatte.

Dabei wäre der nun beschlossene Beitritt der bisher bündnisfreien Schweden und Finnen ein mehr als passender Moment gewesen, sich der Frage zu stellen, ob Österreichs Sicherheit auf lange Sicht durch eine Nato-Mitgliedschaft besser gewährleistet wäre als durch den Status quo der gleichsam unbewaffneten Scheinneutralität. Ein Modell, das es so nirgends in Europa gibt, das aber konsequent der hiesigen Schlawiner-Mentalität folgt, wo es geht, auf Kosten anderer zu leben.

Für einen Nato-Beitritt sprechen ein inhaltliches und ein ethisches Argument. Letzteres lautet, dass es einfach unanständig ist, sich dauerhaft darauf zu verlassen, dass einen im Ernstfall schon andere - die Nato - verteidigen, ohne selbst einen angemessenen finanziellen und personellen Beitrag zu leisten. Viel schwerer wiegt aber das inhaltliche Argument. Um es zu verstehen, muss man sich in die 1980er zurückbeamen, als die Sowjetunion noch mit Ewigkeitsgarantie zu existieren schien. Niemand, aber wirklich niemand konnte sich damals vorstellen, wie Europa nur vier Jahrzehnte später aussehen würde, ohne UdSSR, mit den Warschauer-Pakt-Staaten in der Nato und einem Großkrieg in der Ukraine.

Genauso wenig können wir uns heute ein belastbares Bild davon machen, wie Europa in 20, 30 Jahren aussehen wird - gut möglich, dass dies abermals völlig unabsehbare Veränderungen bringt.

Deshalb, wenn auch nicht nur deshalb, ist das Argument, ein Nato-Beitritt sei nicht nötig, weil wir ja ohnehin von Nato-Mitgliedern umgeben seien, ebenso richtig wie wertlos. Denn das kann sich innerhalb der nächsten Jahrzehnte genauso ändern wie Europas geopolitische Statik seit den 1980ern - wer weiß. Sich darauf zu verlassen, dass der Status quo auf ewig und darüber hinaus Bestand haben wird, wäre eine überschaubar schlaue Sicherheitspolitik.

Dazu kommt, dass das "Wir sind von der Nato umgeben"-Argument auch für ein Dutzend andere Nato-Mitglieder gilt, von Frankreich und Deutschland über Belgien, Dänemark und die Niederlande bis hin zum kleinen Luxemburg, die deswegen alle miteinander nicht im Traum daran denken, das Bündnis zu verlassen. Für sie gilt nämlich, was auch für Österreich gälte: Kein anderer Weg bietet auch nur annähernd so viel Sicherheit wie die im Nato-Vertrag bindend vorgesehene gegenseitige Beistandspflicht, die dazu geführt hat, dass in den vergangenen sechs Jahrzehnten kein Nato-Staat (abgesehen vom Sonderfall 9/11) militärisch angegriffen wurde. Schweden und Finnen haben das klug erkannt und die Konsequenzen daraus gezogen. Dass Österreich sich sogar dem Nachdenken darüber verweigert, ist ein schwerer strategischer Fehler.