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Der blinde Fleck der europäischen Energiewende

Von Thomas Zehetner

Gastkommentare
Thomas Zehetner ist Klimasprecher beim WWF Österreich, davor war er als Diplomat im österreichischen Außenministerium tätig.
© WWF

Dem Energiesparen muss eine viel größere Rolle als bisher eingeräumt werden.


Der Krieg in der Ukraine legt brutal offen, wie abhängig Europa von billiger fossiler Energie aus Russland ist. In Verbindung mit dem extremen Anstieg der Energiepreise ist unser Denken als Gesellschaft über Öl und Gas in den vergangenen Monaten ins Negative gekippt - und zwar unumkehrbar: Weder die niedrigen Energiepreise des vergangenen Jahrzehnts noch die vermeintliche Versorgungssicherheit werden auf absehbare Zeit zurückkehren.

Der nächste Winter kommt bestimmt, und Europa muss sich auf die Drohung einer unterbrochenen Gasversorgung einstellen. Statt weiter aufs Prinzip Hoffnung zu setzen, muss die Politik nun definieren, wie wir aus dieser Falle herauskommen und einen neuen energiepolitischen Imperativ formulieren: Handle so, als wäre ein Lieferstopp unvermeidbar. Neben dem Ausbau der Erneuerbaren muss auch dem Energiesparen eine viel größere Rolle als bisher eingeräumt werden. Energiesparen gilt aus wissenschaftlicher Sicht als der günstigste und effizienteste Beitrag zu mehr Klimaschutz und Versorgungssicherheit. Modellrechnungen zufolge ist eine Reduktion des Energieverbrauchs um bis zu 45 Prozent möglich. Dabei sind Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum einkalkuliert und werden - ohne Wohlstandsverluste - sämtliche Energie- und Mobilitätsbedürfnisse bedient.

Umso unverständlicher ist es, dass Österreich seit mehr als 500 Tagen kein Energieeffizienzgesetz hat, durch das alle relevanten Maßnahmen auf ein absolutes Energiesparziel hin ausgerichtet werden könnten. Umso zukunftsvergessener ist es, dass im Jahr 2022 immer noch Gasheizungen beworben und eingebaut werden dürfen und kein verbindlicher Rahmen für den Ausstieg besteht. Umso kommunikativ fragwürdiger ist das Fehlen einer breit angelegten Energiesparkampagne, die Unternehmen und Bevölkerung berät und ermutigt, selbst den Energieverbrauch zu reduzieren.

Politik ist immer auch eine Frage des Timings. Angesichts drohender Stromnachzahlungen ist das Fenster der Akzeptanz für Energiesparen größer als je zuvor. Anders gesagt: Energiesparen ist heute die einzige Form des Sparens, die noch Zinsen abwirft. Die Bundesregierung muss sich diese positive Grundhaltung zunutze machen und noch vor dem Sommer ein ambitioniertes Energiesparprogramm präsentieren, das an Industrie und Haushalte gleichermaßen gerichtet ist. Es geht darum, dass Heft des Handelns vor Beginn der nächsten Heizperiode wieder in die Hand zu nehmen.

Der Europäische Rat Anfang dieser Woche, bei dem sich Staats- und Regierungschefs über die Auswirkungen des Ukraine-Krieges berieten, hätte für Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer die Chance geboten, das Thema Energiesparen prominent aufzugreifen und eine Vorreiterrolle innerhalb der EU einzunehmen. Die Europäische Kommission, die zuletzt mit ihrem Plan "REPowerEU" ambitionierte Energiesparziele vorgelegt hat, wüsste bei diesem Thema hinter sich. Österreichs Energiepolitik hat durch ihre Russland-freundliche Ausrichtung das Land viel Ansehen innerhalb der EU gekostet. Dies wäre eine gute Gelegenheit gewesen, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen.