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Die vergessene Pädagogische Hochschule

Von Josef Oberneder

Gastkommentare
Josef Oberneder ist Vizerektor für Hochschulmanagement und Schulentwicklung an der Pädagogischen Hochschule Oberösterreich.
© privat

Seit 2007 entwickelt sich in der tertiären Bildungslandschaft in Österreich ein selbstbewusster neuer Player.


Es sei eine "Liebe auf den zweiten Blick" gewesen, so fasste die ehemalige Unterrichtsministerin Claudia Schmied ihre Bemühungen zur Weiterentwicklung der Pädagogischen Hochschulen bei einer Festveranstaltung im Jahr 2017 zusammen. Die Pädagogischen Hochschulen hatten zu diesem Zeitpunkt eine zehn Jahre zuvor begonnene Transformation von Pädagogischen Akademien und Instituten in Hochschulen hinter sich gebracht. Aus den insgesamt 54 Einrichtungen resultierten schließlich 14 Pädagogische Hochschulen in Österreich.

Seit 2007 entwickelt sich also in der tertiären Bildungslandschaft in Österreich ein selbstbewusster neuer Player. Im Jahr 2012 führte man dann ein neues Dienstrecht für die Lehrenden ein, stärkte die Forschung und professionalisierte die Angebote im Bereich der Fortbildung und der Schulentwicklung. Die Lehrerausbildung wurde überarbeitet und mit zehn Semestern Mindestdauer bis zum Masterabschluss den europäischen Richtlinien angepasst, ja in verschiedenen Bereichen sogar erweitert.

Von einer aktiven Weiterentwicklung zu einer autonomen Bildungsorganisation mit dem Charakter einer Universität war mitunter sogar die Rede. Man hatte gleichsam eine Vision für einen eigenständigen Hochschulsektor. In den vergangenen zehn Jahren des Bestehens der Pädagogischen Hochschulen gab es sieben verschiedene zuständige Ministerinnen und Minister. Wie viel Weiterentwicklung ist zwischenzeitlich zu erkennen? Sind die Pädagogischen Hochschulen etwa vergessene Hochschulen, die darauf warten, als "Liebe auf den zweiten Blick" entdeckt zu werden?

Veränderungsdruck und Akademisierung

Die inhaltlichen Voraussetzungen an den Pädagogischen Hochschulen haben jedenfalls in den vergangenen Jahren zu einem enormen Veränderungsdruck geführt. Sie übernahmen Verantwortung für die Akademisierung der pädagogischen Professionen. Sukzessive entwickelten sie eine eigenständige Arbeitsweise zwischen Wissenschaft und Praxis. Forschung, Lehre sowie Fortbildung für die Pädagoginnen und Pädagogen und ihre Aufgabe als Teil einer gesellschaftlichen Verantwortung standen im Mittelpunkt der Weiterentwicklung. Damit ist neben den Universitäten und Fachhochschulen ein eigener, wichtiger Hochschulsektor entstanden. Als Vorbereitung der organisatorischen Weiterentwicklung in der Zukunft stehen zweifelsfrei weitere wichtige Initiativen und Projekte an, wenngleich im Sinne der Soziologin Elena Esposito die Zukunft gänzlich unsicher, aber zugleich programmiert ist, weil sie ja in der Gegenwart unserer Projekte und Initiativen stattfindet. Fest steht daher: Für alle künftigen Vorhaben und Projekte braucht es an den Pädagogischen Hochschulen angemessene Organisationsstrukturen, die weniger Fremd- und mehr Selbststeuerung ermöglichen, die agil und flexibel sind und deren organisatorische Ausprägungen jetzt, also in der Gegenwart, festgelegt werden müssen und nicht erst irgendwann.

Angesichts steigender gesellschaftlicher und inhaltlicher Komplexität sind zentralistische bürokratische Strukturen weitgehend ungeeignet für die Weiterentwicklung einer Organisationsform wie einer Pädagogischen Hochschule. Den entscheidenden Punkt erkannte einst schon der Soziologe Niklas Luhmann: Für die Aneignung von neuem Wissen in Organisationen braucht es Lernirritationen aus den Umwelten. Voraussetzung dafür sind Organisationsstrukturen, die einen hohen Grad an interner Reflexionsfähigkeit zulassen und weniger den Zugriff von außen erfordern.

Weiterentwicklung braucht neue Organisationsform

Ungeachtet zahlreicher Befunde in der Managementliteratur und in den Sozialwissenschaften haben die zuständigen Ministerinnen und Minister der vergangenen Jahre an der Struktur einer sogenannten nachgeordneten Dienststelle festgehalten. Dies hat insbesondere in den Bereichen Organisation, Personal und Finanzen eine eingeschränkte Entscheidungsautonomie der Pädagogischen Hochschule zur Folge.

Die zaghaften Versuche der vergangenen Ministerinnen und Minister mündeten in einen Hochschulentwicklungsplan, der in der alltäglichen Praxis noch recht unbemerkt bleibt und außerdem den Dienststellencharakter explizit fortschreibt. Klar ist: Pädagogische Hochschulen werden definitiv für die Weiterentwicklung eine neue Organisationsform benötigen. Diese wird sich weniger an den Mustern von Anweisungen orientieren können, sondern vielmehr an den notwendigen Kooperationen und Interaktionen als zentraler Eigenschaft eines komplexen sozialen Systems, wie sie die Hochschule und der Hochschulsektor sind.

Man wird nicht umhinkommen, den Übergang von klassischer Steuerung ("Government") zu moderner politischer Steuerung ("Governance") zu vollziehen. Denn niemand glaubt doch ernsthaft, dass Pädagogische Hochschulen künftig in der Organisationsform einer nachgeordneten Dienststelle ihre tertiäre akademische Aufgabe für eine "nächste Gesellschaft" (wie es der Soziologe Dirk Baecker formuliert) übernehmen können. Sie sind keine Apparate, keine Schulen, keine Anstalten und auch keine Pädagogischen Akademien (mehr), sondern komplexe Organisationsdomänen.

In einigen Jahren der Weiterentwicklung der Pädagogischen Hochschulen könnte das Staunen groß sein, wenn man sich daran erinnert, einst geglaubt zu haben, man könne eine tertiäre Bildungsinstitution in Form einer nachgeordneten Dienststelle führen. Die Chance ist weiter aufrecht. Der neue Bildungsminister, der die Utopie der "unbedingten Universität" (wie sie der Philosoph Jacques Derrida nannte) als einen Ort der bedingungslosen Freiheit kennt, kann die institutionelle Wende einleiten.