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Schutz für die Ozeane

Von Alice Vadrot

Gastkommentare
Alice Vadrot ist Politikwissenschafterin an der Universität Wien mit Schwerpunkt Umweltpolitik. Sie leitet das vom Europäischen Forschungsrat finanzierte Forschungsprojekt "Maripoldata" zu Auseinandersetzungen um die politische Regulierung der Meere und ihrer Biodiversität.
© Diskurs Wissenschaftsnetz

Marine Biodiversität als Allgemeingut für zukünftige Generationen erhalten.


Der Welttag der Ozeane am 8. Juni soll auf die dramatischen Zustände in den Meeren hinweisen und Aufmerksamkeit für die negativen Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf die biologische Vielfalt und marine Ökosysteme schaffen. In der Debatte gerät häufig aus dem Blick, dass keine politische Einigkeit darüber herrscht, wie genau der internationale Meeresschutz aussehen soll und auf welche verbindlichen Ziele und Maßnahmen man sich einigen kann.

Die Kluft zwischen Staaten des globalen Nordens und Südens in der Frage, wer für den Schutz der marinen Biodiversität verantwortlich ist, wer dafür zahlt und wie er umgesetzt werden soll, könnte größer nicht sein. Gestritten wird vor allem darum, wem marine Biodiversität eigentlich gehört und wer von ihr profitiert. Seit der Einführung des Welttags der Ozeane im Rahmen des Erdgipfels der UNO im Jahr 1992 hat sich daran wenig geändert.

Wissenschaftliche Fakten und fehlendes Wissen

Was sich sehr wohl verändert hat: Wir wissen heute viel mehr über die Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf den Zustand der Meere. Diese haben nämlich bereits 40 Prozent der Meeresoberfläche verändert, "tote Zonen" im Meer geschaffen, und den Bestand an lebenden Korallen in den vergangenen 150 Jahren fast halbiert. Aus diesem Grund lancierte die UNO voriges Jahr eine Dekade der Meeresforschung für nachhaltige Entwicklung. Ziel der Maßnahme ist es, Fakten gesammelt an die Politik heranzutragen.

Gleichzeitig betont die UNO, dass wir nicht managen können, was wir nicht verstehen, und dass für uns viele Aspekte des Ozeans ein Rätsel bleiben. Bis heute sind nur 19 Prozent des Meeresbodens kartiert. Bei großen Bereichen der Tiefsee und der Polarregionen wissen wir wenig bis gar nichts über die Verteilung von Arten, Ökosystemen, Meeresprozessen und Stressfaktoren.

Der doppelte Appell, der von der UN-Dekade ausgeht - also einerseits an die Wissenschaft, Wissenslücken zu schließen und sich stärker in die Politikgestaltung einzubringen, und andererseits an die Politik, Meeresforschung zu fördern und ihr zuzuhören - birgt allerdings die Gefahr, dass politische Entscheidungen aufgeschoben werden und Nicht-Handeln mit dem Verweis auf fehlendes Wissen gerechtfertigt wird. Aber noch länger abzuwarten wäre fatal.

Derzeit sind nur 7,44 Prozent der Ozeane geschützt, und es fehlen klare internationale Regeln für den Schutz und die nachhaltige Nutzung der marinen Biodiversität. Dies gilt insbesondere für die Hohe See, die 64 Prozent der Ozeane ausmacht, oft als rechtsfreier Raum interpretiert und ohne rechtliche Folgen ausgebeutet und verschmutzt wird. Die Fakten sowie die Lösungen sind eigentlich da, wie die vielen wissenschaftlichen Berichte und Forderungen zeigen. Nun muss die Politik endlich handeln und tatsächlich wirksame Verträge und Regeln zum Schutz der Ozeane und ihrer Biodiversität durchsetzen.

Ein neues Abkommen zum Meeresschutz auf Hoher See

Vor diesem Hintergrund und von der breiten Öffentlichkeit fast unbemerkt verhandeln seit 2018 UN-Mitgliedstaaten ein neues rechtlich bindendes Abkommen zum Schutz und zur nachhaltigen Nutzung der marinen Biodiversität in internationalen Gewässern. Von 15. bis 26. August, versammeln sich Regierungsvertreter zum fünften Mal im UN-Hauptquartier in New York, um eine Einigung zu erzielen.

Viele NGOs sehen darin die letzte Chance, um Staaten zur Etablierung von Meeresschutzgebieten und zur Durchführung von Umweltverträglichkeitsprüfungen zu verpflichten. Mit dem zukünftigen Abkommen sollen aber nicht nur neue Instrumente geschaffen werden, um die marine Biodiversität auf Hoher See zu erhalten und nachhaltig zu nutzen. Es werden auch die Bedingungen für die kommerzielle Nutzung mariner genetischer Ressourcen verhandelt sowie der Kapazitätsaufbau und Austausch von Meerestechnologie.

Im Kern geht es in den Verhandlungen um die ungleiche Verteilung der wissenschaftlich-technischen Möglichkeiten, marine Biodiversität abzubilden und wirtschaftlich zu verwerten. Durch eine Auswertung der wissenschaftlichen Literatur konnten wir zeigen, dass sich das wissenschaftliche Wissen und die Möglichkeiten zu internationaler Kooperation auf wenige reiche Länder konzentriert. So verfügen vor allem die USA, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Japan und Südkorea über die nötigen Infrastrukturen und wissenschaftlichen Daten, die es zum Beispiel braucht, um Meeresschutzgebiete zu verwalten und Umweltverträglichkeitsprüfungen durchzuführen.

Nord-Süd-Kluft auch bei wirtschaftlicher Nutzung

Die Kluft zwischen Staaten des globalen Nordens und Südens verläuft allerdings nicht nur entlang der ungleichen Verteilung von Meerestechnologie und Wissen. Gestritten werde auch um die ungleiche Verteilung wirtschaftlicher Möglichkeiten, die sich daraus ergeben: Seit 2008 hat die Privatisierung mariner Biodiversität stark zugenommen. So ist die Zahl der Patente an genetischen Ressourcen aus der Hohen See seither stark angestiegen. Die Freiheit der Forschung, die in internationalen Gewässern gilt, erleichtert den Zugriff zu diesen Ressourcen, führt aber dazu, dass sich viele Staaten von der Nutzung und daraus resultierenden Gewinnen an einem Allgemeingut ausgeschlossen fühlen.

Unsere Forschungen zeigen, dass unterschiedliche Vorstellungen darüber vorherrschen, wem marine Biodiversität in der hohen See eigentlich gehört. Während viele Staaten des globalen Südens die Biodiversität der Meere als Allgemeingut betrachten, von dem eine Handvoll reicher Staaten überproportional profitiert, geht es vielen Staaten des globalen Nordens darum, ihre Meeresforschung und Industrie vor neuen Regulierungen zu schützen.

Sichtbar wird dieser Konflikt in den Verhandlungen darum, ob das Meer nach dem völkerrechtlichen Prinzip des "Gemeinsamen Erbes der Menschheit" betrachtet werden soll. Bleibt das Prinzip im Verhandlungstext, könnte das den Zugang und die Nutzung mariner Biodiversität nachhaltig und zugunsten des globalen Südens verändern. Gelingt es den USA, der EU, Japan, Südkorea und anderen Gegnern dies zu verhindern, müssen sie diesen Staaten etwas anderes anbieten, um der aktuelle Schieflage zu begegnen, zum Beispiel konkrete Zugeständnisse im Transfer von Meerestechnologie an den globalen Süden.

Die aktuellen Entwicklungen zeigen vor allem eines: Über den Erhalt der marinen Biodiversität können wir nur sprechen, wenn wir ökonomische Zwänge und Interessen mitberücksichtigen und auch die historisch gewachsenen Ungleichheiten zwischen Staaten des globalen Nordens und Südens anerkennen. Marine Biodiversität muss zwar als "Gemeinsames Erbe der Menschheit" anerkannt werden. Es sollte aber nicht nur um eine gerechte Verteilung der Gewinne zwischen Staaten im Hier und Jetzt gehen. Vielmehr muss der Erhalt der marinen Biodiversität für zukünftige Generationen im Vordergrund stehen.