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Eine Reform der Pendlerförderung

Von Michael Schwendinger

Gastkommentare
Michael Schwendinger ist  bei der Mobilitätsorganisation "VCÖ - Mobilität mit Zukunft" für den Bereich Mobilität und Ökonomie zuständig.
© Rita Newman

Die jetzige Regelung ist sozial ungerecht und ökologisch kontraproduktiv. Die Anreize gehen in die falsche Richtung.


Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat das Thema Energieabhängigkeit schlagartig weit nach oben auf die politische Agenda gebracht. Zu Recht, denn die derzeitige Importabhängigkeit von fossiler Energie ist mehrfach problematisch: als unkalkulierbarer Kostentreiber für Privathaushalte sowie als Unsicherheitsfaktor für die politische und wirtschaftliche Stabilität Österreichs. Mehr als 90 Prozent des importierten Rohöls stammten im Vorjahr aus Kasachstan, Libyen, Irak, Russland und Jemen - allesamt keine Horte von Stabilität, Demokratie und Menschenrechten. Mit 81 Prozent wird der Großteil des Rohöls im Verkehr verbrannt - dort besteht demnach der größte Handlungsbedarf.

Pkw verursachen rund zwei Drittel der Treibhausgasemissionen des Verkehrs in Österreich. Werktags sind Arbeitswege mit 26 Prozent der wichtigste Wegzweck. Mit 60 Prozent werden überdurchschnittlich viele Arbeitswege im Auto zurückgelegt, umgekehrt ist der Anteil an Fahrgemeinschaften halb so hoch wie im Gesamtdurchschnitt. Zusammen mit Dienstfahrten verursachen Arbeitswege werktags mehr als die Hälfte des Autoverkehrs der privaten Haushalte in Österreich. Kurz gesagt: Arbeitswege sind sehr verkehrsrelevant und erdölintensiv.

Umgekehrt bergen sie großes Potenzial, die Erdölabhängigkeit zu reduzieren. Sechs von zehn Arbeitswegen sind kürzer als 10 Kilometer - bei entsprechender Radinfrastruktur eine gute Radfahrdistanz. Arbeitswege sind regelmäßig - beste Voraussetzungen für eine effiziente Organisation durch öffentlichen Verkehr, Werkbusse oder Fahrgemeinschaften. Zudem prägen Arbeitswege Routinen. Gelingt es durch entsprechende Anreizsysteme und Rahmenbedingungen, Arbeitswege vom Auto auf die Öffis oder das Fahrrad zu verlagern, ist ein großer Schritt in Richtung Unabhängigkeit von Erdöl getan.

Höhere Einkommen profitieren mehr

Die gute Nachricht: Österreich hat ein umfassendes Fördersystem für Arbeitswege, mit dem Anreize für gesellschaftlich relevante Ziele gesetzt werden können. Die schlechte Nachricht: Derzeit gehen diese Anreize in die falsche Richtung - die Pendlerförderung ist undurchsichtig, kontraproduktiv und teuer. Der Verkehrsabsetzbetrag ist als grundsätzliche Abgeltung für Fahrten zwischen Wohnort und Arbeitsstätte vorgesehen. Dazu kommen Pendlerpauschale, Pendlereuro und Zusatzförderungen einzelner Bundesländer. In Summe gibt alleine der Bund dafür rund 1,5 Milliarden Euro jährlich aus. Zum Vergleich: Das Budget für Umwelt- und Klimaschutz betrug mit rund 680 Millionen Euro im Jahr 2021 weniger als die Hälfte.

Das Pendelpauschale wurde in den 1970ern eingeführt, um die Abwanderung aus strukturschwachen Regionen zu vermeiden. Heute betreffen 40 Prozent der Anträge auf Pendlerpauschale Arbeitswege unter 20 Kilometer und bloß 10 Prozent weite Arbeitswege über 60 Kilometer. Die Top-5-Bezirke mit den meisten Pendelnden liegen allesamt im Speckgürtel rund um eine Landeshauptstadt, jeweils mit überdurchschnittlich hohem Haushaltseinkommen. Weil das Pendlerpauschale als Steuerfreibetrag ausgestaltet ist, profitieren Beschäftigte umso mehr, je höher die Einkommenssteuerklasse ist.

Im Ergebnis führt das dazu, dass mit 35 Prozent der größte Anteil der Steuerbegünstigung durch das Pendlerpauschale an das reichste Einkommensviertel fällt, während das ärmste Einkommensviertel mit 3 Prozent fast nichts bekommt. Auch aus ökologischer Perspektive ist das Pendlerpauschale ein Problem: Die Förderung trägt dazu bei, dass weitere Arbeitswege in Kauf genommen werden. Für die Berechnung des Pendlerpauschales wird zwar ein Unterschied gemacht, ob eine gute Öffi-Anbindung verfügbar ist - welches Verkehrsmittel letztlich genutzt wird, spielt aber derzeit keine Rolle.

Vor einem halben Jahrhundert mag es ein praktikables Mittel zur Erreichung gesellschaftlich relevanter Zwecke gewesen sein. Heute ist es eine aus der Zeit gefallene, klimaschädliche, sozial unausgewogene Subvention. Noch deutlicher hat das Benjamin Bittschi, Ökonom und Steuerexperte am Institut für Höhere Studien (IHS), formuliert: "Vereinfacht und überspitzt gesagt, bezahlt eine im städtischen Arbeiterviertel wohnende Putzfrau die Fahrt von Ärzten und Rechtsanwälten aus der Villa im Speckgürtel in die innerstädtische Arbeit, ohne für die erhöhten Wohnkosten im urbanen Raum entschädigt zu werden."

Kleines Pendlerpauschale durch Klimaticket ersetzen

Als Reaktion auf die kriegsbedingte Energiekrise hat die Bundesregierung das Pendlerpauschale bis Juni 2023 vorübergehend um 50 Prozent erhöht, der Pendlereuro wurde vervierfacht. Eine solche Unterstützung bekämpft kurzfristig Symptome, mittelfristig braucht es Maßnahmen gegen das eigentliche Problem der starken Erdölabhängigkeit des Verkehrs. Über eine sozialökologische Reform des Pendelpauschales wird seit vielen Jahren diskutiert, auch im aktuellen Regierungsprogramm steht sie verankert.

Zwei Aspekte sind dabei zentral: Erstens muss die soziale Treffsicherheit verbessert werden, etwa durch Umstellung auf einen Absetzbetrag und eine Einschleifregelung für Spitzengehälter. Zweitens sind Anreize für ein klimaverträgliches Mobilitätsverhalten am Weg zur Arbeit zu implementieren. Wo guter öffentlicher Verkehr zur Verfügung steht, soll es einen steuerlichen Anreiz zu dessen Nutzung geben. Auch die bundeslandweiten Klimatickets könnten dabei mitgedacht werden und etwa anstelle des kleinen Pendlerpauschales - das Pendlerinnen und Pendler mit guter öffentlicher Verkehrsanbindung bekommen - zur Verfügung gestellt werden. Damit entstünde ein starker Anreiz, auch in der Freizeit häufiger Bus und Bahn zu nutzen. Wo ab Wohnort kein ausreichendes Öffi-Angebot verfügbar ist, sind steuerliche Anreize zur Nutzung von Park-and-Ride-Anlagen sinnvoll.

Das Pendlerpauschale ist politisch gesehen ein heißes Eisen, und eine sozialökologische Reform desselben wird die Dekarbonisierung des Verkehrs nicht alleine bewerkstelligen können. Aber keine Reform ist auch keine Lösung, denn die heutige Erwachsenengeneration wird den eigenen Kindern vermutlich nicht schlüssig erklären können, weshalb eine kontraproduktive, teure und sozial unausgewogene Förderung weiter so bleiben soll, wie sie ist. Bis Juni 2023 läuft die vorübergehende Notlösung. Wir müssen jetzt die Frage angehen: Quo vadis Pendlerpauschale?