Zum Hauptinhalt springen

Die vergessenen Kinder

Von Monica Culen

Gastkommentare
Monica Culen ist Gründerin von Rote Nasen Clowndoctors in Österreich und leitet insgesamt elf Rote-Nasen-Organisationen in Europa und im Mittleren Osten. Sie ist auch Gründungspräsidentin der European Federation of Hospital Clown Organisations und war bis vor kurzem Präsidentin des Fundraisingverbandes.
© Burtscher / Beate Hecher

Von den 82,4 Millionen Flüchtlingen weltweit ist mehr als ein Drittel minderjährig.


2001 hat die UNO den 20. Juni zum Weltflüchtlingstag erklärt. Laut UNHCR, der Flüchtlingsorganisation der Vereinten Nationen, mussten weltweit 82,4 Millionen Menschen aufgrund von kriegerischen Konflikten, Verfolgung oder den Auswirkungen von Naturkatastrophen aus ihrer Heimat fliehen. Das entspricht der gesamten Bevölkerung Deutschlands.

Laut Angaben des UN-Kinderhilfswerks Unicef sind unter diesen 82,4 Millionen Menschen auch mehr als 33 Millionen Kinder und Jugendliche. Allein im Jahr 2020 kamen weltweit schätzungsweise 14,6 Millionen vertriebene Kinder neu dazu. Der Krieg in der Ukraine betrifft nun noch weitere 2 Millionen Minderjährige. All dies sind Menschen, die Schutz suchen.

Ich war sehr beeindruckt, wie viel Europa zu Beginn des Ukraine-Kriegs an Hilfeleistungen auf die Beine gestellt hat. Das ist gut so. Ich bin stolz auf Europa. Menschen, die auf der Flucht sind, haben meist Unsagbares erlebt: lebensbedrohliche Situationen, Gewalt, körperliche Strapazen, der Kälte ausgesetzt, nicht zu vergessen die Angst um die zurückgebliebenen Väter, Männer, Söhne, die ihr Land, aber auch Europa und die Werte der westlichen Welt mit Waffen verteidigen.

Neben den körperlichen Anstrengungen leidet vor allem die Psyche unter den unglaublichen Anstrengungen, die jede Flucht mit sich bringt. Die Angebote zur Verbesserung der psychischen Gesundheit der Geflüchteten durch Hilfsorganisationen sind jedoch überschaubar. Nicht immer sind ausschließlich Psychotherapeuten oder Psychologen von Nöten. Auch kreative Betätigung, Spiel und Spaß können wirkungsvolle Mittel sein, die Kindern dabei helfen, ihre furchtbaren Erlebnisse zu verarbeiten.

Dies ist der Grund, warum Rote Nasen in Österreich, aber auch in Polen, Ungarn, Litauen, der Slowakei und Tschechien verstärkt die Registrierungszentren und Unterkünfte ukrainischer Flüchtlinge besuchen. Im Sommer werden wir auch mehrere Wochen in Moldawien im Einsatz sein. Wir wissen aus gut dreißigjähriger Erfahrung, dass Spiel, Lachen und positive Aufmerksamkeit Balsam für die Kinderseelen sind. Viele Studien belegen das. Wir sind der Ansicht, dass das Potenzial von künstlerischen, kreativen Aktivitäten in der Flüchtlingshilfe weit unterschätzt wird.

Es gibt auch abseits der Ukraine viele Flüchtlinge

Die ersten Schritte in unseren Flüchtlingsaktivitäten gehen zurück in die 1990er Jahre, während des Kosovo-Krieges. Mittlerweile haben wir große Erfahrung darin und besuchen in mehrwöchigen Einsätzen die Hotspots in Europa: die griechischen Inseln Lesbos, Samos und Chios, das griechische Festland, Serbien und Bosnien-Herzegowina und auch die Ukraine, als es damals hauptsächlich Binnenflüchtlinge gab.

Bei aller Dramatik der gegenwärtigen Kriegssituation in der Ukraine: Wir dürfen auf die geflüchteten Kinder in Griechenland und am Balkan nicht vergessen. Auch wenn die Nachrichtenlage es nicht widerspiegelt: Es gibt sie noch immer. Die Flüchtlinge leben überwiegend unter unmenschlichen Bedingungen, weit unter internationalen und europäischen Standards, die sie zusätzlich physisch und psychisch gefährden. Sie sind Hitze oder Kälte in unbeheizten Zelten ausgesetzt, es fehlen sanitäre Einrichtungen, und die Hygienebedingungen sind grauenvoll. Wir alle kennen die unfassbaren Bilder aus dem Camp "Moria" und auch von "Moria 2" aus den Medien. Die von der Flucht traumatisierten Menschen werden laufend durch die alltägliche strukturelle Gewalt noch mehr traumatisiert. Viele NGOs, wie Ärzte ohne Grenzen, schlagen Daueralarm: Suizide und Psychosen sowie neu erworbene Traumata sind Alltag auf den griechischen Inseln.

Ähnlich ist die Lage am Balkan, wo Jugendliche regelmäßig Schlafmittel nehmen, um ihren leeren Alltag ohne Bildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten zu bewältigen. Dort gibt es fast keine Beschäftigungen, keine Möglichkeit, einen Beruf zu erlernen, die eigene Zukunft selbst zu gestalten. Sie liegt stattdessen im endlosen Erdulden der bürokratischen Mühlen, einem Biwakieren in "the Forest", oder im Erleben gewalttätiger Pushbacks. Kein Wunder, dass Gefühle der Ausweglosigkeit zu Verzweiflung und Gewaltausbrüchen führen.

Mit Humor und Lachen gegen Hoffnungslosigkeit

Mit unserer Clown-Arbeit und unseren Zirkus-Workshops können wir den Fokus auf vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten und Kreativität legen. Humor und Lachen sind ein Gegengewicht zu Hoffnungslosigkeit und Frustration. Es zeigt ihnen einen freundlichen Raum, in dem es ein kreatives, friedliches Miteinander gibt, in dem jeder willkommen ist. Einen "Safe Space" für Emotionen aller Art. Einen Ort, an dem Kinder und Jugendliche unbeschwert, fröhlich und selbstbestimmt sein können. Wir verwenden die Elemente der Kunst, des Theaters, der Clownerie, der Musik, um die psychische Stabilität der geflüchteten Kinder und Jugendlichen zu fördern. Mit einem positiven Mindset ist ein Beitrag zu einer positiven Zukunft zu schaffen.

Doch das, was wir tun, wird nicht ausreichen. Es bedarf mehr, damit aus diesen Kindern und Jugendlichen selbstwirksame, positive Erwachsene werden, die hier - oder wahrscheinlich viel lieber zurück in ihrer Heimat - einen Beitrag zum Wiederaufbau ihrer Heimat leisten können. Wenn es Ihr Kind wäre - wäre das nicht auch Ihr Wunsch?