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Datenschutz nun auch bei Scheidungen

Von Gernot Fellner

Recht

Der Oberste Gerichtshof beendet mit seiner Entscheidung eine für die Justiz äußerst peinliche Vorgehensweise.


Seit 30. März 2022 ist Datenschutz sensibler Daten definitiv auch in Scheidungs- und Verlassenschaftsverfahren gewährleistet. Der Oberste Gerichtshof (OGH) beendet mit seiner Entscheidung 8 Ob 3/22g somit eine für die Justiz der Republik Österreich äußerst peinliche Vorgehensweise.

Planwidrige Regelungslücke

Gemäß Grundbuchgesetz § 6 GBG 1955 idgF ist von jeder Urkunde, aufgrund derer eine bücherliche Eintragung vorgenommen wird, bei dem Grundbuch in der Urkundensammlung eine beglaubigte Abschrift zurückzubehalten. § 144 Geo (Geschäftsordnung für die Gerichte I. und II. Instanz) wiederum normiert, dass "alle Ausfertigungen (von Urkunden, Anm.) genau nach Weisung der Urschrift herzustellen sind, und zwar durch wörtliche Abschrift".

Für die Herstellung von Teilausfertigungen gerichtlicher Protokolle besteht mangels positiver gesetzlicher Anordnung in den beiden obigen Vorschriften kein Rechtsanspruch (Regelungslücke). Gemäß § 94 Abs 1 GBG wiederum haben die Grundbuchgerichte die Ansuchen "und deren Beilagen einer genauen Prüfung zu unterziehen".

Fatales Zusammenspiel

Das fatale Zusammenspiel dieser drei Rechtsvorschriften hatte daher bis vor Kurzem zur Folge, dass die Grundbuchgerichte bei Eintragungsbegehren, die sich auf die Ergebnisse zum Beispiel von Scheidungsvergleichen, aber auch von Verlassenschaftsabhandlungen gestützt haben, die vollständigen Fassungen dieser Urkunden verlangt und in die öffentlich einsehbare Urkundensammlung der Grundbücher eingestellt haben.

In Scheidungsvergleichen werden in der Regel aber neben Vereinbarungen über die Zuordnung und Übertragung von Liegenschaften zwischen den Scheidungsparteien (zum Beispiel der Ehewohnung) auch unzählige höchst sensible personenbezogene Daten des Privat- und Familienlebens erörtert, wie etwa die Höhe des von einer Partei der anderen Partei zu leistenden Unterhalts, Daten zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen, Schulden und Verbindlichkeiten der Scheidungsparteien, Obsorgeverpflichtungen, Besuchsrechte und Kontaktrechte zu minderjährigen Kindern und Dergleichen.

Ganz ähnlich verhält es sich bei Verlassenschaftsabhandlungen. In den Protokollen der Gerichtskommissäre finden sich neben grundbuchrelevanten Vereinbarungen über die Aufteilung der erblasserischen Liegenschaften auch vollständige Vermögensverzeichnisse des erblasserischen Vermögens zum Todestag (Inventare). Außerdem werden in den Protokollen letztwillige Anordnungen offengelegt und deren oft sehr private Inhalte erörtert. Natürlich werden in den Abhandlungsprotokollen Erbteilungsübereinkommen auch über Kapitalvermögen und sonstige Wertsachen der Erblasser geschlossen.

Die bisherige Praxis der Einstellung der kompletten Scheidungsvergleiche und Abhandlungsprotokolle in die Urkundensammlung der Grundbuchgerichte, auch wenn der grundbuchrelevante Teil nur die Übertragung / Aufteilung einer Liegenschaft betroffen hat, hatte zur Folge, dass jedermann durch Einsichtnahme in das öffentliche Grundbuch die in den Scheidungsvergleichen und Abhandlungsprotokollen allenfalls "mitgewaschene familiäre Schmutzwäsche" begutachten konnte.

Neugierige Verwandte

Auch neugierige Verwandte oder Nachbarn, und zwar durch Einsichtnahme in das öffentliche Grundbuch. Sie konnten sich vollständig über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Scheidungsparteien oder der Erblasser informieren.

In seiner Entscheidung vom 6. April 2021, Appl. 5434/17, Liebscher gegen Österreich, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zur Praxis österreichischer Grundbuchgerichte geurteilt: Das Einstellen des vollständigen Textes eines Scheidungsvergleiches in die öffentlich zugängliche Urkundensammlung im Rahmen der Verbücherung von Scheidungsvergleichen ist unzulässig. Damit wird nämlich Art. 8 EMRK verletzt, der den Anspruch auf Achtung des Privat- und Familienlebens schützt. Daten, die über die für das Grundbuchgericht erforderlichen Informationen und Vereinbarungen hinausgehen, dürfen nicht veröffentlicht werden.

Die österreichischen Gerichte hätten es in den innerstaatlichen Gerichtsverfahren, die der Beschwerdeführer angestrengt hatte, verabsäumt, zu prüfen, ob die gesetzliche Verpflichtung zur Vorlage des gesamten Scheidungsvergleiches mit der Wahrnehmung des Rechts des Beschwerdeführers auf Schutz seiner personenbezogenen Daten vereinbar ist. Außerdem hätten die nationalen Gerichte es verabsäumt, zu prüfen, ob die Bestimmungen des Grundbuchgesetzes nicht auch konventionskonform ausgelegt werden können.

Dies bedeutete eine saftige Ohrfeige für die bis dahin gegenüber den Datenschutzargumenten der Betroffenen "taube" innerstaatliche Justiz.

Art. 8 EMRK normiert nämlich den "Anspruch von Jedermann auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs". Gemäß Art. 8 Abs 2 EMRK sind Eingriffe öffentlicher Behörden in die Ausübung dieser Individualrechte nur statthaft, soweit diese (sinngemäß)

•gesetzlich vorgesehen sind

•und Maßnahmen darstellen, die in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind zur Aufrechterhaltung der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ruhe und Ordnung, des wirtschaftlichen Wohles des Landes, der Verteidigung der Ordnung, der Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten Anderer.

Der für Grundbuchsachen zuständige Fachsenat des OGH hatte bisher, so auch in dem dem Rechtsfall Liebscher gegen Österreich vorausgegangenen innerstaatlichen Gerichtsverfahren, judiziert, dass die Vorlage einer "Teilausfertigung" oder eines "Auszugs" des Scheidungsvergleiches keine ausreichende Eintragungsgrundlage darstellt und der in § 94 Abs 1 GBG vorgeschriebenen "genauen Prüfung" eines Eintragungsbegehrens durch das Grundbuchgericht sogar entgegensteht. Nun hat der OGH in seiner Entscheidung vom 30. März 2022, 8 Ob 3/22g, einen Ausweg aus der peinlichen Misere gefunden.

In analoger Anwendung des § 178 Abs 4 AußStrG (Außerstreitgesetz), der in Verlassenschaftssachen die Möglichkeit der Erstellung von Gerichtsbeschlüssen in Ganzausfertigung und zusätzlichen Teilausfertigungen eröffnet, hat der OGH nun ausgesprochen, dass bei der Antragstellung auf Verbücherung von Scheidungsfolgen (Scheidungsvergleichen) die Vorlage von "Teilausfertigungen" der Scheidungsvergleiche zur Einstellung in die Urkundensammlung zulässig ist.

Empfehlungen für die Praxis

Falls Scheidungsvergleiche oder Verlassenschaftsprotokolle mit grundbuchrelevanten Vereinbarungen als Titelurkunden für Grundbucheintragungen dienen, wird empfohlen,

•entweder vom Gericht eine Teilausfertigung des Scheidungsvergleiches nur hinsíchtlich der liegenschaftsrechtlich relevanten Verfügungen (idR Rechtseinräumungen, Übertragungsvereinbarungen, grundverkehrsrechtliche Bestimmungen und Aufsandungserklärungen) unter Berufung auf das Erk OGH 8 Ob 3/22 g zu begehren, oder

•eine notariell beglaubigte auszugsweise Abschrift der grundbuchrelevanten Passagen des Scheidungsvergleiches / Abhandlungsprotokolles herstellen zu lassen.

Dem Grundbuchantrag sind meines Erachtens eine Ausfertigung des gesamten Scheidungsvergleiches / Abhandlungsprotokolles sowie dessen Teilausfertigung oder auszugsweise beglaubigte Abschrift beizuschließen. In die Urkundensammlung des Grundbuchgerichtes ist sodann jedoch nur die reduzierte Fassung der Urkunde einzustellen.•

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