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Verkanntes Grundeinkommen

Von Paul Kellermann

Gastkommentare

Es geht nicht darum, Arbeitsunwilligen das Faulenzen zu ermöglichen, sondern die Befürchtung zu mildern, in der "Geldgesellschaft", in der man für alles Geld braucht, "auf der Straße zu landen".


In diesen Zeiten von Pandemie und Arbeitskräftemangel wird wieder über ein "arbeitsloses Grundeinkommen" diskutiert. Ob man dafür oder dagegen ist, hängt wesentlich von dem ab, was man unter "Arbeit" versteht - beschränkt bloß Erwerbstätigkeit oder umfassend Arbeit als eine zu allen Zeiten erforderliche Tätigkeit zur Sicherung der Lebensbedingungen. Auch "Grundeinkommen" wird oft beschränkt als Gelegenheit zum Faulenzen für die "Leistungsverweigerer" gesehen.

Was die Kärntner SPÖ mit "Arbeit" meint, wurde vor kurzem an ihrem zweitägigen Parteitag Mitte Juni nicht diskutiert. Aber der Antrag zum "Grundeinkommen" wurde am ersten Tag einstimmig angenommen. Just einen Tag später erschien in der "Kleinen Zeitung" ein skeptischer, ablehnender Essay des Grazer Volkswirtschaftsprofessors Michael Steiner zum Grundeinkommen. Gegen Skepsis und Ablehnung geht es aber in der aktuellen Epoche der effizienten Entwicklung menschlicher Arbeit eigentlich darum, Arbeit und Grundeinkommen besser zu verstehen. Steiners Schlüsselfrage lautete: "Kann ein Grundeinkommen Alleslöser (!) für schwierige Gerechtigkeitsprobleme sein?" Selbstverständlich nicht. Mit Fragen nach Gerechtigkeit haben sich schon vor fast 2.500 Jahren Sokrates, Platon und Aristoteles beschäftigt - ein unerschöpfliches, "ewiges" Thema.

Auf "Gerechtigkeit" soll im Folgenden nicht eingegangen werden, und aus Platzgründen können auch Organisationsprobleme eines garantierten Einkommens, die Steiner nannte, nicht besprochen werden. Nur zu dem ebenfalls genannten Finanzierungsproblem eine verkürzte Klarstellung zu der wesentlichen, selten wahrgenommenen Funktion von Geld: Es ist das mittlerweile vorherrschende Mittel zur Organisation von Arbeit; einerseits, weil ohne Geld fast nichts mehr zu haben ist, und andererseits, weil gegen Geld fast alles zu haben ist - es herrschen also zugleich Arbeitszwang und Kauffreiheit in der "Geldgesellschaft". Deshalb sind viele Menschen bereit, für Geld "alles" zu tun. Hier soll es aber in erster Linie um die historisch gegebene Möglichkeit von Grundeinkommen im Rahmen gesellschaftlich erforderlicher Arbeit gehen.

Wir leben in der "Geldgesellschaft". Das heißt: Mehr oder weniger alles, was wir brauchen oder wollen, müssen wir kaufen. Warum? Weil wir fast nichts mehr selber herstellen (können). Durch die erreichte extreme Arbeitsteilung - betrieblich, regional, national, international, global - ist die gesamte Menschheit stärker, tiefer und weiter voneinander abhängig als je zuvor. Geld vermittelt diese Abhängigkeit. Damit sind wir ein weiteres Mal abhängig - wir müssen über Geld verfügen können. Diese objektive, zweite Form der Abhängigkeit wurde subjektiv zur ersten, indem in der Regel durch Arbeit Geld erworben werden muss: Erwerbstätigkeit - also für Geld zu arbeiten - wurde für viele Menschen eine sublimierte Zwangstätigkeit; legitimiert durch den immer wieder verwendeten Paulus-Spruch aus seinem Thessalonicher-Brief: "Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen."

Nun ermöglicht aber in der erreichten Epoche der gesellschaftlichen Arbeitsorganisation gerade Arbeit durch Arbeitsteilung und Arbeitsorganisation in Verbindung mit hochentwickelten Produktionsmitteln die Milderung dieses bewussten Arbeitszwangs. Dieser zeigt sich im Wunsch der Menschen, dass der Arbeitstag, die Arbeitswoche, die Zeit vor der Pension schnell vorbeigehen mögen. Tatsächlich wird damit gleichzeitig - sicher ungewollt - Lebenszeit weggewünscht. Durch ein Grundeinkommen könnten diese fatalen Wünsche weniger intensiv sein.

Drei Arten von Arbeitszwang

"Grund" kann Boden, Unterlage, Basis, Anfang und anderes bedeuten; jedenfalls etwas, worauf Weiteres folgt. Aber offensichtlich wird "Grundeinkommen" von vielen anders verstanden. So ist in Steiners Essay zu lesen: ". . . um endlich Freiheit von Arbeit zu erreichen, damit Freiheit von Zwang, Freiheit für alle." In solchem Verständnis lässt sich eine beschränkte Sicht auf Arbeit erkennen. In einer erweiterten Sicht dagegen sind drei Arten von Arbeitszwang zu unterscheiden: der natürlich-grundsätzliche, der von Not verursachte und der jeweilige zeitgeschichtliche Arbeitszwang. Alle drei sind auf verschiedene Weise existenziell, also für das Leben ausschlaggebend.

Der natürlich-grundsätzliche Arbeitszwang besteht darin, dass Menschen zur Sicherung ihrer Lebensbedingungen immer arbeiten müssen. Es gäbe keine Menschen, wenn sie nicht als Neugeborene durch die Tätigkeit anderer umsorgt worden wären. Aber ebenso müssen Erwachsene tätig sein, um ihr Leben zu gestalten - vor Urzeiten, heute und in Zukunft. Dieser menschenwesentliche, zeitlich unbeschränkte Arbeitszwang wird einerseits vom Zwang, gegen lebensbedrohliche Not etwas zu tun, verdeckt, andererseits vom jeweils historischen Typ der gesellschaftlichen Organisation von Arbeit - als Arbeit von Sklaven, von Leibeigenen, von Knechten und Mägden oder von sogenannten Erwerbstätigen.

Not trat immer wieder in der Menschheitsgeschichte auf, ausgelöst durch Pandemien, Kriege oder Mangel an Lebensmitteln, Wohnungen, Alten- und Krankenversorgung. Not ist spür- und sichtbar, war aber bisher zeitlich beschränkt. Ob die jeweils vorübergehende Beschränkung des Arbeitszwangs auch für die Not gilt, die vom Klimawandel herrührt, ist zu bezweifeln.

Von ganz eigener Art ist der zeitgeschichtliche Arbeitszwang in der "Geldgesellschaft". Und hier kommt jetzt das entscheidende Argument für ein Grundeinkommen, weil dieser Zwang darin besteht, über Geld zu verfügen. Verursacht durch extreme Arbeitsteilung, muss man fast alles kaufen, was man braucht oder wünscht. Diese extreme Arbeitsteilung hat aber die menschliche Arbeit auch extrem produktiv werden lassen, sodass allgemein ein hohes, für Vermögende ein sehr hohes Anspruchsniveau an Gütern und Diensten entstand.

Versandeln verhindern

Ein Grundeinkommen, richtig verstanden als Sicherung der Lebensbasis in der "Geldgesellschaft", soll nicht das von Werbung geförderte hohe Anspruchsniveau zu verwirklichen ermöglichen - es soll die Befürchtung mildern, "auf der Straße zu landen". Überdies soll es die Chance eröffnen, tätig zu sein, woran man Interesse hat. Gilt Interesse auch dem Kauf von Gütern und Diensten mit höherem Anspruch, kann/muss für ein Erwerbseinkommen gearbeitet werden. Andernfalls ist/muss man mit dem Basiseinkommen zufrieden sein.

Während die Arbeit von Sklaven, Leibeigenen und Knechten durch mehr oder weniger extensiven äußeren Zwang im fremden Interesse erfolgte, verlegte die Organisation der Arbeit mithilfe von Geld den historischen Arbeitszwang gewissermaßen nach innen, wurde persönliches Interesse: "Wenn du nicht für Geld arbeiten willst, hast du keines, kannst dir nichts kaufen, versandelst, bist du selbst schuld." Ein Grundeinkommen soll und kann Versandeln verhindern. Oder gilt im Gegensatz dazu nicht nur aus Steiners Sicht: "Das Grundeinkommen bleibt ein obskures Objekt der Begierde . . ."?