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Lösen wir den Fachkräftemangel

Von Michael Swoboda

Gastkommentare
Michael Swoboda ist Bildungsexperte und Geschäftsführer des österreichischen Bildungsanbieters ETC.
© Weinwurm WB

Wer ihn nicht als Chance versteht, wird weiter davon bedroht. Es braucht auch kluge Digitalisierungsstrategien.


Für viele Unternehmen ist der Fachkräftemangel mindestens so problematisch wie steigende Energie- oder Rohstoffpreise. Zwar haben 71 Prozent der österreichischen Unternehmen laut dem Arbeitskräfteradar der Wirtschaftskammer derzeit offene Stellen, aber 272.000 Jobs können nicht besetzt werden, weil es an ausreichend qualifizierten Fachkräften mangelt. Was Unternehmen jetzt brauchen, ist vor allem eine langfristige Personal- und Ausbildungsstrategie. Sie haben zu Beginn der Pandemie mit Neueinstellungen gewartet und bei Personalthemen gespart. Das rächt sich jetzt. Abgesehen davon, dass zu viele Arbeitskräfte in Pension gehen, während zu wenige Junge nachkommen, hat Corona auch viele Arbeitsmarktteilnehmer in eine "große Resignation" geführt. Das hat das Ringen um qualifizierte Fachkräfte weiter verschärft.

Vor allem bremst der Fachkräftemangel den wirtschaftlich und gesellschaftlich tiefgreifendsten Transformationsprozess unserer Zeit: die Kompetenzen beim Thema Digitalisierung. Während die Pandemie für die ohnehin schon recht zukunftsfitten heimischen Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten einen Digitalisierungsturbo bedeutete, war der Großteil der KMU vor allem mit dem Überleben beschäftigt. Zur Erinnerung: KMU machen rund 99 Prozent der österreichischen Unternehmen aus - ja, unser wirtschaftliches Rückgrat. Ihnen fehlen Ressourcen und Know-how. Das war gut zu beobachten, als es etwa in den Lockdowns für Lokale darum ging, ein digitales Bestellsystem zu nutzen, weil das telefonische überlastet war - Stichwort: Wem gehört das Schnitzel mit der Nummer 86? Solche Basics haben manche schon überfordert. Was wurde aus den ganzen Digitalisierungsoffensiven, Herr Staatssekretär? Bei den KMU kamen sie jedenfalls nicht an.

Was die Digitalisierungjetzt schon leistet

Um das Land voranzubringen, braucht es jetzt kluge Digitalisierungsstrategien und vor allem auch viel Wissen in der Bevölkerung. Viele Beschäftigte glauben, ihren analog dominierten Job noch "aussitzen" zu können, und fürchten sich davor, nochmals neue Fähigkeiten lernen zu müssen. Auch bei Unternehmern gibt es noch große Defizite, denn laut dem österreichischen Digitalisierungsindex sieht jede vierte Firma keinen Nutzen in der Digitalisierung. Nun, das ist schockierend und realitätsverweigernd. Der Impact von IT ist für den Wirtschaftsstandort Österreich mittlerweile größer als jener des Fremdenverkehrs.

Weiters können laut der Umfrage 56 Prozent jener Firmen, die bereits in Digitalisierung investiert haben, die Vorteile davon nicht nennen. Für gewöhnlich sind es Kostenersparnis, Gewinnung neuer Kunden, mehr Agilität und Flexibilität, stärkere Kundenbindung sowie die Erschließung neuer Einnahmequellen, um nur ein paar Vorteile zu nennen.

Der Arbeitsmarkt dreht sich gerade in eine spannende Richtung. Inzwischen bewerben sich Unternehmen bei Talenten, um die besten Arbeitskräfte zu bekommen - und nicht umgekehrt. Das bietet enorme Chancen. Arbeitswillige können wählen. Sie suchen faire Gehälter, flexible Arbeitszeiten, sinnvolle Jobs mit Ausbildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten, Unternehmen, denen Nachhaltigkeit wichtig ist und Wertschätzung. Das muss man verstehen statt darüber zu jammern.

Die strukturelle Seite des Problems

Wer diese Herausforderung annimmt, erhält gute Mitarbeiter und einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Konkurrenten mit unbesetzten Positionen. So viel zur hausgemachten Seite des Fachkräftemangels. Allein im IT-Bereich fehlen Österreich 24.000 gut bezahlte Fachkräfte. In fünf Jahren sollen es 30.000 sein. Dabei können Mitarbeiter in wenigen Monaten in kompakten Prozessen in der IT berufsbegleitend ausgebildet und zertifiziert werden. Firmen bekommen hochmotivierte, aktuell ausgebildete Arbeitskräfte, und dafür gibt es auch noch Zuschüsse zu den Lohn- und Lohnnebenkosten.

Viele der 400.000 Arbeitsuchenden und Personen in Kurzarbeit signalisieren das Potenzial und eine hohe Bereitschaft zur Umschulung in die IT. Warum machen wir das nicht schon im großen Stil? Auch für Frauen hat die IT-Branche mehr zu bieten als viele andere Wirtschaftszweige. Hier gibt es eine überdurchschnittliche Entlohnung und praktisch keinen Gender-Gap. Flexibilität und Vereinbarkeit von Beruf und Familie werden im IT-Bereich besonders gut umgesetzt.

Das eigentliche Problem von zu wenig IT-Fachkräften liegt aber am zu kleinen Pool an Menschen, die sich den Einstieg auch zutrauen. Um das zu ändern, braucht es vielleicht nicht einmal Digitalisierungskompetenz als eigenes Schulfach, sondern einen einfachen Weg, persönliche Talente für IT-Jobrollen fundiert auszuloten - und auch das gibt es heute schon mit österreichischen IT-Skills-Screening-Tools. Denn unser Leben funktioniert sowieso immer digitaler, und jeder tut gut daran, das auch für sich selbst und den Arbeitgeber ernst zu nehmen.