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Staatsterroristen als Verhandlungsmasse

Von Martin Patzelt

Gastkommentare
Martin Patzelt war Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt an der Oder sowie bis 2021 CDU-Abgeordneter im Deutschen Bundestag und dort Berichterstatter für den Iran im Menschenrechtsausschuss.
© privat

Ein fauler Deal Belgiens mit dem Iran macht deutlich: Rechtsstaatlichkeit und innere Sicherheit stehen auf dem Spiel.


Nach sechsstündiger Debatte hat der Auswärtige Ausschuss im belgischen Parlament einem Dringlichkeitsantrag der belgischen Regierung zugestimmt. Es ging dabei um ein Abkommen mit dem Iran über den Austausch von verurteilten Straftätern. Diesen soll unter anderem "Amnestie und Begnadigung" im Heimatland gewährt werden können.

Der bekannteste Iraner, der aktuell in Belgien inhaftiert ist, ist wohl Assadollah Assadi. Der an der iranischen Botschaft in Wien akkreditierte Diplomat wurde im Mai 2021 von einem Gericht in Antwerpen zu 20 Jahren Haft verurteilt, seine drei Komplizen fassten 17 beziehungsweise 18 Jahre aus. Sie alle dürften ganz oben auf der iranischen Austauschliste stehen. Aus belgischer Sicht geht es vor allem um den bereits zum Tode verurteilten Arzt Ahmadreza Djalali sowie um Olivier Vandecasteele, einen Mitarbeiter einer Hilfsorganisation.

Der Deal bringt vor allem Menschenrechtsaktivisten und den iranischen Widerstand auf die Barrikaden. Und der Grund geht tiefer als nur der Fall Assadi. Es geht generell um den Umgang Europas mit iranischem Staatsterrorismus, der nicht nur beim vereitelten Bombenanschlag von 2018 durch Assadi und seine Komplizen deutlich wurde. Seit den 1990ern waren immer wieder iranische Dissidenten in Europa Ziel von Terroraktionen des iranischen Regimes.

Eine Auslieferung Assadis wäre ein fatales Signal und eine Missachtung der belgischen Justiz, warnen nicht nur Menschenrechtsaktivisten, sondern auch Politiker und Prominente, darunter die frühere deutsche Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth: "Sollte dieses Gesetz vom belgischen Parlament beschlossen werden, entstünde die Möglichkeit, dass Assadi an den Iran überstellt wird, wo das Urteil des belgischen Gerichts ohnehin nicht anerkannt wird."

In der Ausschusssitzung wurde auch deutlich, wie die belgischen Parteien zum Abkommen stehen. Während die Regierungsparteien sich hinter Justizminister Vincent Van Quickenborne und seinen "Schutz der Bevölkerung" stellten, enthielten sich alle weiteren Oppositionsparteien außer der N-VA. Laut Michael Freilich von den flämischen Nationalisten sieht der Iran Assadi nicht als Terroristen, sondern als Diplomaten. "Sie werden ihn im Iran freilassen, sobald er ihr Territorium betritt." Für den Nationale Widerstandsrat Iran (NWRI), ein Bündnis iranischer Oppositionsgruppen im Exil, steht fest, dass "Assadi nachweislich vom Regime in Teheran beauftragt wurde, diesen Terroranschlag zu verüben".

Schweigen der Regierung und mehrere offene Fragen

Die belgische Regierung selbst hüllt sich angesichts zahlreicher auch internationaler Proteste in Schweigen und weicht in allgemeine Aussagen aus. Justizminister Quickenborne betonte vor dem Ausschuss, das Abkommen sei "auf keine spezielle Person" ausgerichtet, und verwies auf die bevorstehende Hinrichtung Djalalis, die damit verhindert werden könne. Es ist davon auszugehen, dass das belgische Parlament - wie üblich - dem Votum des Ausschusses in der Abstimmung folgen wird. Gerade deshalb bleiben zentrale Fragen offen:

Warum erfuhr die Öffentlichkeit erst am 29. Juni von diesem Deal?

Wie soll es bei weiteren Verurteilungen weitergehen? So wartet auch Hamid Nouri in Stockholm wegen seiner Beteiligung am Massaker an politischen Gefangenen 1988 im Iran auf sein Urteil. Wird auch er ausgetauscht, wenn Gras über die Sache gewachsen ist oder das Leben inhaftierter Schweden im Iran in Gefahr ist?

Wie positionieren sich die anderen EU-Staaten zu diesem Deal? Wie geht die EU mit iranischem Staatsterrorismus in Europa um?

Wie werden iranische Dissidenten in Europa künftig geschützt, vor allem, wenn die Proteste im Iran zunehmen und sich das Regime ins Eck gedrängt fühlt?

In welchen Ländern Europas laufen derzeit im Hintergrund ähnliche Deals ab?

Diese Fragen muss nicht nur Brüssel beantworten. Es geht hier nicht nur um einen diplomatischen Missgriff, es geht um unsere Werte, es geht um Ethik, es geht um Wertschätzung. Und es geht um das Leben tausender iranischer Dissidenten in Europa. Wir Europäer müssen uns aber auch die Frage stellen und spätestens jetzt beantworten, wie sehr wir gewillt sind, Recht und Justiz zu vernachlässigen und uns vom Regime in Teheran erpressen zu lassen.