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Showdown um die Johnson-Nachfolge

Von Philip Plickert

Gastkommentare
Philip Plickert ist Londoner Wirtschaftskorrespondent der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".
© privat

Wohin steuert Großbritannien in ökonomisch turbulenten Zeiten?


Das Rennen um die Nachfolge von Boris Johnson geht in die Zielgerade. Ex-Schatzkanzler Rishi Sunak und Außenministerin Liz Truss sind bei den fraktionsinternen Wahlgängen in die Stichwahl gekommen. Sie werben nun um die Gunst der etwa 200.000 Tory-Mitglieder. Das Ergebnis wird am 5. September verkündet.

Nach Johnsons unrühmlichem Erbe versuchen die Tories damit einen Neuanfang - inmitten eines wirtschaftlich äußerst schwierigen Umfelds mit der höchsten Inflation seit 40 Jahren, angetrieben vom Energiepreisschub, und einer im Herbst drohenden Rezession. Der künftige Premier wird durch eine raue See steuern müssen. Sunak und Truss stehen dabei für unterschiedliche Positionen und Persönlichkeiten.

Auf der einen Seite will der Aufsteiger Sunak (42), aus einer indischstämmigen Einwandererfamilie, konservative Werte verkörpern: "Ich glaube an harte Arbeit, die Familie und Integrität. Ich bin ein Thatcherist", schreibt er im Tory-nahen "Daily Telegraph". Der Arztsohn aus der Hafenstadt Southampton hat es zum schwerreichen Investmentbanker, Abgeordneten und jüngsten Finanzminister (seit 2020) der neueren Geschichte Großbritanniens gebracht. Wie Johnson war er ein früher Brexit-Befürworter, er glaubt an "Brexit-Chancen". Als rhetorisch gewandt, blitzgescheit, ehrgeizig und bienenfleißig beschreiben ihn Weggefährten. Sein Rücktritt vor zwei Wochen löste die Lawine aus, die Johnson begrub. Unter eingefleischten "Boris"-Anhänger gilt er deshalb als Verräter Nummer eins.

Ihm gegenüber steht Außenministerin Truss (46), die trotz aller Johnson-Affären im Kabinett blieb und jetzt Kandidatin der harten Brexiteers und der Parteirechten ist. Sie stammt eigentlich aus einem politisch linken Elternhaus, warb beim Brexit-Referendum 2016 gegen den EU-Austritt; nun verfolgt sie mit dem Eifer der Konvertitin eine harte Brexit-Linie. Sie versucht sich als "Thatcher-Wiedergeburt" zu präsentieren, bis hin zur Kleidung. Als Außenministerin hat sie im Ukraine-Krieg Johnsons harte Linie gegen Russland unterstützt.

In den vergangenen zwei Wochen des Wahlkampfs flogen schon die Fetzen. Vor allem um die Steuerpolitik wird gestritten. Sunak beschuldigte Truss in einer Fernsehrunde, ihre schuldenfinanzierten Versprechen seien eigentlich "Sozialismus" und "Fantasie-Ökonomie", außerdem wirkten sie inflationsverschärfend. Truss warf Sunak an den Kopf, er habe die Steuern auf das höchste Niveau seit 70 Jahren gesetzt, dies führe in die Rezession. Schon "am ersten Tag" in der Downing Street wolle sie einige Steuern senken. Ihr Sofortprogramm soll 30 Milliarden Pfund kosten. Zudem will sie die Verteidigungsausgaben auf 3 Prozent der Wirtschaftsleistung steigern. Doch woher kommt das Geld? Durch mehr Wachstum? Das konservative Magazin "The Spectator" warnt, die Tories liefen Gefahr, den Weg des fiskalischen Konservatismus zu verlassen.

All das zeigt nur das Ausmaß der Unruhe in der Partei. In den Umfragen liegen die Tories etwa 10 Prozentpunkte hinter der oppositionellen Labour-Partei. Ob nun Sunak oder Truss in die Downing Street 10 einziehen: Es wird für sie extrem schwer werden, bis zur nächsten Parlamentswahl in gut zwei Jahren das Ruder noch herumzureißen.