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Zwischen Draghi und Tragik

Von Marlon Possard

Gastkommentare
Marlon Possard ist Dozent und wissenschaftlicher Mitarbeiter für Externes Rechnungswesen, Steuerrecht und Wirtschaft sowie Präsident des Akademischen Börsenvereines Innsbruck. Ab September lehrt er an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU).
© privat

Die ökonomischen und gesellschaftlichen Auswirkungen der politischen Krise in Italien.


Eine weitere italienische Regierung löst sich auf. Italien, eines der hochverschuldeten EU-Länder, schlittert in die nächste Krise, obwohl das Land in der Vergangenheit bereits von vielen politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Herausforderungen umgeben war. Italien wählt am 25. September ein neues Parlament. Und das in Zeiten einer noch nicht gänzlich überstandenen Pandemie, zunehmender Teuerung und des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine mit damit zusammenhängenden Einschränkungen in Gaslieferungsprozessen. Die Einheitsregierung Mario Draghis, die derzeit noch im Amt ist, wird also bald Geschichte sein.

Die aktuelle Krise, die mit dem Rücktritt des früheren EZB-Chefs und derzeitigen Premiers verbunden ist, den Staatspräsident Sergio Mattarella am 21. Juli im zweiten Anlauf angenommen beziehungsweise bestätigt hat, deutet auf wirtschaftliche und gesellschaftliche Problembereiche hin. Auch zeichnet sich ab, dass die nächsten Koalitionsverhandlungen nicht einfach werden könnten. Aktuellen Umfragen zufolge könnte sich eine politische Kooperation zwischen den Fratelli d’Italia, Forza Italia und der Lega ausgehen. Eine rein nationalistisch und rechts ausgerichtete Parteien- und Regierungslandschaft würde Italien längerfristig schaden.

Draghis ökonomischer Reformplan geht unter

Durch Draghis Rücktritt geht jenes Vertrauen verloren, das er in den vergangenen Monaten mit viel Mühe in der Bevölkerung aufgebaut hat. Ihm wurde nicht sein unabhängiges und effizientes Regieren zum Verhängnis, sondern die Machtübernahme der rechten Parteien, die im Hintergrund schon längst in Vorbereitung war und weiterhin ist. Der ökonomische Reformplan für Italien, den Draghi entwickelt hat, geht zugunsten taktischer Kalküle bestimmter Parteien unter.

Die politische Krise in Italien steht jedoch auch in einem engen Konnex zu wirtschaftlichen Unsicherheiten, die aktuell am Markt beobachtbar sind. Im Speziellen kann dies im Kontext der angespannten Situation an der italienischen Börse attestiert werden. Bei Anleihen ist insbesondere der sogenannte Spread (der Risikoaufschlag, der die Renditedifferenz einer Anleihe mit Kreditrisiko im Vergleich zu einer laufzeitkonformen risikolosen Anleihe misst) als problematisch anzusehen, die Kosten für Anleihen sind demnach gestiegen.

Auch viele Anleger ordnen die politische Ungewissheit Italiens aktuell als risikobehaftet ein, denn eine mögliche antieuropäische Ausrichtung der politischen Gegebenheiten könnte auch zu Stabilitätsverlusten am Markt und an der Börse führen. Dies kann an folgenden Aspekten veranschaulicht werden: Zunächst rutschte der DAX auf zirka 13.100 Punkte ab, der Euro erreichte eine Quasi-Parität mit dem US-Dollar, der EuroStoxx50 verlor etwa 1 Prozent. Das Minus an der Mailänder Börse, die sich zwischenzeitlich wieder erholt hat, kann ebenfalls auf die politische Situation in Italien zurückgeführt werden.

Italien könnte also wieder zum "Problemkind" der EU werden, vorrangig aufgrund der engen Verbindung der europäischen Märkte untereinander und der bereits jetzt verschuldeten Lage des EU-Landes. Jedenfalls ist der Rücktritt Draghis als Rückschritt für Italien zu bewerten. Stabile Verhältnisse werden zugunsten politischer Eigeninteressen aufs Spiel gesetzt. Solche Wege mündeten bisher nur in ökonomischer Instabilität und im Profit anderer. In diesem Fall wird wohl der russische Präsident Wladimir Putin der Profiteur der Krise sein, denn je instabiler die politischen Verhältnisse innerhalb der Europäischen Union sind, desto besser für den Kreml.