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Entwicklungspolitische Ziele aus den Augen verloren?

Von Michael Obrovsky

Gastkommentare
Michael Obrovsky ist Stellvertretender Leiter der Österreichischen Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (ÖFSE).
© Elisabeth Bolius

Die Halbzeitbilanz der Regierung in der Entwicklungspolitik ist mager.


Die Ziele der Neuausrichtung der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit (EZA) im Regierungsprogramm 2020 sind durchaus ambitioniert. Vorgesehen ist unter anderem eine schrittweise Erhöhung der EZA-Gelder in Richtung des Ziels von 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE). Das betrifft sowohl die Aufstockung der humanitären Hilfe als auch die Ausweitung der finanziellen Mittel in der bi- und multilateralen EZA. Außerdem soll koordinierter und zielgerichteter gearbeitet werden. Geplant ist die Erstellung einer Strategie für die humanitäre Hilfe genauso wie die Weiterentwicklung des Dreijahresprogramms der Entwicklungspolitik zu einer kohärenten gesamtstaatlichen Strategie. Zudem gibt es ein Bekenntnis, die Wirksamkeit von EZA-Maßnahmen fundiert zu evaluieren.

Eine Erhöhung der EZA-Gelder ist tatsächlich zu verzeichnen. Der Auslandskatastrophenfonds wurde substanziell erhöht; jüngst um 46 Millionen Euro vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges. In relativen Zahlen bedeutet das jedoch, dass die Bundesregierung den 0,7 Prozent - bei einem BNE von 402 Milliarden Euro im Jahr 2021 - um bloß 0,01 Prozentpunkte nähergekommen ist. Die Aufstockung des Budgets der Austrian Development Agency (ADA) um 10,7 Millionen Euro auf 125,1 Millionen Euro ist dabei weniger als ein Tropfen auf dem heißen Stein. Sollte Österreich das Tempo nicht steigern, dauert die Erhöhung von derzeit 0,31 auf 0,7 Prozent noch mindestens 39 Jahre. Daran ändert auch die Anrechenbarkeit der Kosten für die Versorgung von Flüchtlingen und Asylwerbern oder von Entschuldungsmaßnahmen nichts. Beide führen bestenfalls zu einer kurzfristigen Erhöhung der Quote, aber nicht zu einer nachhaltigen Entwicklungsfinanzierung.

Die im Herbst 2020 begonnene Strategie für humanitäre Hilfe sowie das Dreijahresprogramm der österreichischen Entwicklungspolitik 2022 bis 2024 liegen als Entwürfe im Außenministerium. Sie harren aber seit Monaten einer Einigung der Koalitionspartner. Die ebenfalls im Regierungsprogramm vorgesehene fundierte EZA-Evaluierung muss strukturelle Defizite angehen. Die wesentlichen Empfehlungen der institutionellen Evaluierung der ADA (2019) oder der "Peer Review Austria" der OECD (2020) blieben bisher unberücksichtigt.

Trotz budgetärer Belastungen durch Corona und das Teuerungsausgleichspaket ist der Spielraum für eine Erhöhung des Entwicklungsbudgets gegeben. Zum Vergleich: Das Budget für die "Hilfe vor Ort" 2022 entspricht gerade einmal den budgetären Rückstellungen des Familienministeriums für die Nachzahlung der Familienbeihilfe (220 Millionen Euro). Das Außenministerium muss deswegen bei den im Herbst beginnenden Budgetverhandlungen initiativ werden und signifikante Steigerungen des EZA-Budgets einfordern. Außenpolitische Rhetorik allein hilft nicht. Das Dreijahresprogramm der österreichischen Entwicklungspolitik und eine Strategie der humanitären Hilfe sollten rasch beschlossen werden. Konkrete Strategien und eine solide nationale Entwicklungsfinanzierung sind entscheidende Voraussetzungen dafür, dass Österreich einen glaubwürdigen Beitrag zur Bewältigung der globalen Krisen leisten kann.