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Der Konsens und seine Grenzen

Von Douglas Maraun und Thomas Wolkinger

Gastkommentare
Douglas Maraun ist Klimaforscher an der Uni Graz und Leitautor des jüngsten IPCC-Berichts.
© privat

Trotz Unsicherheiten können aktuelle Ergebnisse zum Klimawandel handlungsrelevant sein.


In einer Stellungnahme zur Klimakrise hat die österreichische Bioethikkommission wichtige Empfehlungen an die Politik formuliert, darunter die Beschleunigung überfälliger legistischer Projekte wie eines neuen Klimaschutzgesetzes. Insbesondere die medienpolitischen Vorschläge der Kommission hat der Philosoph Konrad Paul Liessmann in seinem jüngsten Kommentar in der "Wiener Zeitung" vom 16./17. Juli unter Ideologieverdacht gestellt. Würde die Qualität der Berichterstattung am "wissenschaftlichen Konsens" zur Klimakrise gemessen, den es im Übrigen nicht gebe, so Liessmann, dann drohe die "staatliche Kontrolle" der freien Meinungsäußerung. Dieser Polemik ist zu widersprechen.

Jede Naturwissenschaft entwickelt im Laufe der Zeit im Wechselspiel von Theorie, Experiment und Beobachtung einen Wissenskanon - Wissen, über das Konsens herrscht. In der Klimaforschung haben vor etwa 50 Jahren bahnbrechende Arbeiten, voriges Jahr mit dem Physiknobelpreis ausgezeichnet, den Grundstein für einen solchen Kanon gelegt. Der Weltklimarat IPCC trägt wesentlich zur Entwicklung dieses Kanons bei.

Alle acht Jahre sichten hunderte Wissenschafterinnen und Wissenschafter ehrenamtlich zehntausende Studien zur Beobachtung und Modellierung des Klimas, zu vergangenen Klimaten, zum Verständnis meteorologischer Prozesse. Sie berücksichtigen hunderttausende Gutachterkommentare und destillieren, was sicher und was noch unsicher ist. Dissens wird hier berücksichtigt. Sicher ist: Die jüngsten Klimaänderungen sind schnell, intensivieren sich und sind beispiellos über tausende von Jahren. Der Mensch verursacht diesen Klimawandel. Extremereignisse werden heftiger. Nur durch einen schnellen Stopp der Treibhausgasemissionen lässt sich die globale Erwärmung auf 1,5 Grad begrenzen.

Jedoch sind wichtige Fragen noch Gegenstand der Forschung. Doch trotz Unsicherheiten können aktuelle Ergebnisse handlungsrelevant sein. Zum Beispiel kann nach jetzigem Wissensstand nicht ausgeschlossen werden, dass der Meeresspiegel bis zum Jahr 2300 um 15 Meter steigt, wenn wir unsere Emissionen nicht deutlich reduzieren. Konsens besteht keiner, trotzdem ist diese Information für die Malediven oder New York relevant. Spätestens hier ist klar, dass Liessmanns Vergleich mit Corona hinkt: Bei Covid-19 sehen wir gerade Forschung im Schnelldurchgang. In der Klimaforschung hat sich über Jahrzehnte ein Kanon entwickelt, und durch das IPCC gibt es eine ziemlich klare Idee, wo es noch offene und strittige Fragen gibt.

Vor diesem Hintergrund hat die Bioethikkommission vier Empfehlungen zu Medien formuliert, darunter eine Koppelung von öffentlichen Förderungen und Inseraten an die Qualität der Klimaberichterstattung. Nicht allen Maßnahmen, die die Kommission vorschlägt, muss man folgen. Eine "Kennzeichnungspflicht" für Beiträge etwa, die nicht dem wissenschaftlichen Klimakonsens folgen, macht keinen Sinn. Totalleugner des Kanons sind in Österreich rar, in weniger eindeutigen Fällen - siehe Meeresspiegel - fällt die Einordnung auch gut ausgebildeten Journalisten schwer. Eine Kontextualisierung - etwa einer Behauptung, es gäbe keinen wissenschaftlichen Klimakonsens über grundlegende Fragen - kann aber helfen, die öffentliche Debatte auf die eigentlich offenen Fragen zu lenken.

Qualitativ hochwertige Klimarecherchen fördern

Ebenso Sinn macht die von der Kommission empfohlene Förderung qualitativ hochwertiger, aufwendigerer journalistischer Klimarecherchen, gerade um die wissenschaftliche Diskussion möglichst objektiv darstellen und kritisch begleiten zu können. Das entspricht auch der langjährigen Forderung der Forschung, mit öffentlichen Gelder guten Journalismus und nicht, wie das die derzeitige Presseförderung tut, die hohen Auflagen des Boulevards zu finanzieren. Die aktuellen Reformvorschläge der Bundesregierung zielen ebenfalls in diese Richtung. Natürlich muss über Qualitätskriterien, ihre Anwendung und die Mittelvergabe dann in geeigneten Foren und Beiräten öffentlich und transparent diskutiert werden.

Um die journalistische Qualität in Redaktionen zu heben, braucht es auch die von der Kommission empfohlene Förderung von Ausbildungen zum Aufbau von Klimakompetenz. Nicht, um - wie Liessmann schreibt - Journalisten zu zeigen, "was sie zu schreiben haben". Bildung muss nicht Zurichtung bedeuten. Und staatliche Regulierung nicht Zensur. Im Gegenteil. Denn die von Liessmann gepriesene "Dynamik der freien Meinungsäußerung" kann sich bestenfalls im Feuilleton, eher nicht aber in von Algorithmen und Profitinteressen deformierten digitalen Öffentlichkeiten entfalten.

Dort regiert nicht der zwanglose Zwang des besseren Arguments, sondern oft genug das blanke Interesse derer, die Freiheit fordern, um Zweifel zu säen und letztlich den fossilen Status quo zu zementieren. Auch wenn das diesbezügliche Machtgefälle nicht so stark ausgeprägt ist wie im angloamerikanischen Raum, ist es nötig, über Regulierung nachzudenken, wie das die EU mit ihrem Aktionsplan gegen Desinformation getan hat. Um die Freiheit im Ernstfall vor denen in Schutz nehmen zu können, die sie so gerne beschwören.