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Dramatische Gesten in einer dramatischen Situation

Von Werner Wintersteiner

Gastkommentare
Werner Wintersteiner ist Gründer und ehemaliger Leiter des Zentrums für Friedensforschung und Friedenspädagogik der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. Buchtipp: "Die Welt neu denken lernen" (transcript, open access, 2021).
© WW

Statt mit Atomwaffen zu drohen, sollten die nuklearen Arsenale abgebaut werden.


Das Gedenken an Hiroshima und Nagasaki 1945 hat heuer eine ganz besondere Brisanz. Trotz des Erfolgs des UN-Vertrags über das Verbot von Atomwaffen ist die nukleare Bedrohung derzeit so groß wie schon lange nicht. Viele vergleichen sie mit der Kuba-Krise, als die Welt am Rande eines Atomkriegs stand. Das liegt an der Krise der nuklearen Rüstungskontrolle, da Russland und die USA - sie besitzen etwa 90 Prozent aller knapp 14.000 Atomwaffen weltweit - die meisten solchen Verträge haben auslaufen lassen. Das liegt ferner am Stocken der Verhandlungen mit dem Iran, der laut eigenen Angaben eine Atombombe bauen könnte, bezüglich des brüchigen Atomabkommens. Dazu kommt schließlich, dass Russland im Zuge seines Aggressionskriegs gegen die Ukraine immer wieder die Drohung mit dem Einsatz von Atomwaffen ins Spiel bringt. Selbst wenn taktische Überlegungen dahinterstehen sollten, steigert dies die Spannungen und damit die Gefahr, dass diese Massenvernichtungswaffen tatsächlich eingesetzt werden könnten. Die zehnte Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrags, die dieser Tage in New York stattfindet, steht unter keinem guten Stern.

Deshalb ist es gerade heuer besonders wichtig, das uneingeschränkte Verbot und schließlich die Vernichtung aller Atomwaffen zu fordern. All jene Staaten, die dem Verbotsvertrag noch nicht beigetreten sind, sollten diesen nun rasch unterzeichnen. Und wir sollten unbedingt den Vorschlag des Ex-Präsidenten Costa Ricas und Friedensnobelpreisträgers Oscar Arias und des Präsidenten des Global Security Institute, Jonathan Granoff, aufgreifen, dass die Nato zu Friedensverhandlungen im Ukraine-Krieg aufrufen und dabei selbst in Vorleistung gehen solle: "Da die Nato eine enorm starke Militärmacht ist - stärker sogar als Russland - und da Präsident Wladimir Putin erklärt hat, der Krieg in der Ukraine sei zum Teil eine Reaktion auf die Aktionen der Nato, wäre ein Aufruf der Nato angemessen und hätte ein gewisses Gewicht. [...] Um beide Seiten wieder in den Dialog miteinander zu bringen, bedarf es einer dramatischen Geste. Deshalb schlagen wir vor, dass die Nato den Abzug aller US-Atomsprengköpfe aus Europa und der Türkei plant und vorbereitet, ehe es zu Verhandlungen kommt. Der Abzug würde erfolgen, sobald Friedensbedingungen zwischen der Ukraine und Russland vereinbart worden sind. Dies würde Putins Aufmerksamkeit erregen und könnte ihn an den Verhandlungstisch bringen."

Der Abzug der US-Atomwaffen aus Europa und der Türkei würde die Nato militärisch nicht schwächen, da Atomwaffen auf dem Schlachtfeld wenig oder gar keinen Nutzen hätten, argumentieren sie. Das Nato-Atomwaffenarsenal konnte Russlands Einmarsch in die Ukraine nicht verhindern. "Aber die Atomwaffen der Nato können immer noch sinnvoll eingesetzt werden, und zwar nicht durch die Drohung mit ihnen, sondern durch ihren Abzug, um Platz für neue Verhandlungen und einen möglichen Frieden zu schaffen." Unabhängig davon, welche realpolitischen Realisierungschancen dieser Vorschlag hat, bringt er jedenfalls eine neue Dynamik in die festgefahrene und daher umso bedrohlichere Kriegssituation.