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Taiwan und China trennen Welten

Von Katharine Chang

Gastkommentare
Katharine Chang ist Missionschefin des Taipei Wirtschafts- und Kulturbüros in Österreich.
© Taipei Wirtschafts- und Kulturbüro

Wir wollen Demokratie. Wir wollen Freiheit. Wir wollen Frieden. Das verärgert die autokratische Regierung der Volksrepublik China.


Schon bevor die Sprecherin des Repräsentantenhauses der USA, Nancy Pelosi, am Dienstag in Taiwan landete, sprach China die unterschiedlichsten Drohungen aus. Das Ziel dabei war, nicht nur Pelosi und Taiwan, sondern die gesamte demokratische Welt zu verunsichern und einzuschüchtern. Der Besuch fand zwischen zwei befreundeten Demokratien statt und ist auch klar und deutlich als solcher zu verstehen. Wie es für autoritäre Regierungen üblich ist, wurden die Realität aber verzerrt, Fakten verdreht und das wahrheitswidrige Produkt künstlich aufgeblasen, um regional und global Angst zu säen: Angst vor einem Konflikt in der Taiwan-Straße, Angst vor einem Gefecht in der Pazifik-Region, Angst vor einem Krieg in der ganzen Welt.

Jetzt schreibt der chinesische Botschafter Li Xiaosi, genau wie viele andere Mitglieder der Kommunistischen Partei Chinas: "Für alle Folgen, die der Besuch nach sich zieht, sind die USA verantwortlich." Dass dies so oft wiederholt wird, ist kein Wunder, schließlich ist individuelles und eigenständiges Denken in der KP China nicht nur rar, sondern wird entmutigt oder sogar bestraft. Jedoch machen auch tausende Wiederholungen einer Aussage diese nicht richtig. Ein Besuch, der von beiden Seiten erwünscht ist, ist kein "Spiel mit dem Feuer".

Die Einzigen, die mutwillig zündeln, sitzen in Peking, denn sie antworteten auf den freundschaftlichen Austausch zwischen den USA und Taiwan mit dem Einfuhrverbot einer Vielzahl an taiwanesischer Produkte, mit Cyberattacken auf unsere Bevölkerung, Regierung und Wirtschaft, und mit Militärübungen direkt vor unseren Küsten. Bereits am 3. August äußerten die Verteidigungsminister der G7-Staaten in einer gemeinsamen Stellungnahme ihre Besorgnis über die unverhältnismäßigen Reaktionen Chinas, die "unnötige Eskalation riskieren", und appellierten an die chinesische Regierung, "den Status quo nicht unilateral durch Gewalt in der Region zu verändern".

Peking hat keine Macht über Taiwan

Peking begründet diese einseitigen Aggressionen mit der Fantasie, dass Taiwan ihnen gehört. Die Realität sieht aber anders aus: Taiwan ist und war nie Teil der Volksrepublik China. So sehr sie versuchen, die Augen vor der Wahrheit zu verschließen, sie kennen sie dennoch. Wir laden alle Leser herzlich dazu ein, bei der chinesischen Botschaft anzurufen und nach einem Visum für Taiwan zu fragen. Sie werden es nicht ausstellen können. Weshalb? Weil sie keine Macht über Taiwan haben.

Wenn ein Chinese nach Taiwan geht, muss er sein komplettes Geld wechseln, denn wir haben unsere eigene Währung. Er muss sich unseren Gesetzen beugen, die von Grund auf unterschiedlich sind. Er erhält plötzlich die Möglichkeit, seine Gedanken frei zu äußern, seinen Glauben frei zu praktizieren, in einer Gesellschaft zu leben, die weltoffen und vielfältig ist; in der es gleichgeschlechtlichen Paaren erlaubt ist zu heiraten; in der jede Zeitung und jeder Sender eine andere Meinung vertreten darf; in der Menschen ihren Unmut kundtun und ihre Regierung frei wählen dürfen; in der Ideenreichtum und Individualität gewünscht und gefördert werden, was zu neuen Lösungsmodellen für die gesamte Menschheit führt.

Ein Ablenkungsmanöver der Volksrepublik China

Die momentane Situation wirft die Frage auf: Warum zündelt Peking also genau jetzt? Schließlich sind Besuche aus befreundeten Demokratien in Taiwan gang und gäbe. Erst vorigen Monat besuchte uns etwa die Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Nicola Beer, und in der vorigen Woche durften wir unter anderem die beiden ehemaligen Verteidigungsminister Shigeru Ishiba und Yasukazu Hamada aus dem benachbarten Japan bei uns willkommen heißen. Selbst Gäste aus den USA sind nichts Seltenes, wie eine Delegation des US-Kongresses erst im heurigen Mai gezeigt hat. Wie für autoritäre Staaten üblich, ist ein aggressives Auftreten meist ein Zeichen interner Turbulenzen. Den meisten ist wohl kaum entgangen, dass die Volksrepublik China mit immer mehr Problemen innerhalb der eigenen Grenzen zu kämpfen hat. Da kommt ein Ablenkungsmanöver gelegen. Das Ziel: Taiwan und damit die globale Demokratie schwächen. Denn nur mit einer geschwächten demokratischen Welt kann der Autoritarismus erstarken.

"Heute steht die Welt vor der Wahl zwischen Demokratie und Autokratie", sagte Pelosi bei ihrem Besuch. Taiwan hat sich bereits vor langem entschieden: Wir wollen Demokratie. Wir wollen Freiheit. Wir wollen Frieden. Das verärgert die autokratische Regierung der Volksrepublik China. Wie der Chefautor des Redaktionsnetzwerks Deutschland, Matthias Koch, bereits richtigerweise auf Twitter formuliert hat: "Doch Xi Jinping empfindet wie Putin schon die bloße Existenz einer freien Gesellschaft vor der eigenen Haustür als Infragestellung seiner Macht." Die KP China erhebt Anspruch auf unsere Heimat, unsere Leute, unser Leben - lediglich, weil wir benachbart sind. Dabei vergisst Peking aber eines: Uns trennt nicht nur das Meer, uns trennen ganze Welten.

Wer die Entwicklungen der vergangenen Jahre in China verfolgt, weiß genau, dass sich der Nationalismus in diesem Land immer weiter aufheizt und sich die Flammen gegen alle Demokratien richten, genauso wie dies in Russland der Fall ist, das aus ähnlichen Gründen in die Ukraine einmarschiert ist. Die Welt muss sich fragen: Werden wir diesen erneuten Wahn des Nationalismus erlauben, oder gelingt es uns noch rechtzeitig, dieses Feuer zu löschen?

Der vorliegende Text ist eine Replik auf den Gastkommentar des Botschafters der Volksrepublik China in Österreich, Li, Xiaosi.