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Zu Lasten der Bankkunden

Von Peter Hilpold

Recht

Das OGH-Urteil zur Commerzialbank Mattersburg wirft zahlreiche europarechtliche Fragen auf.


Das diese Woche publik gewordene OGH-Urteil zu einer möglichen Amtshaftung im Fall Commerzialbank Mattersburg wirft zahlreiche europarechtliche Fragen auf. Eine Amtshaftung der Republik wurde in diesem Urteil verneint - und so bleiben zahlreiche Anleger auf einem Milliardenschaden sitzen, ohne dass vorgebrachte Mängel der Aufsicht Schadenersatzforderungen generieren könnten.

Die zentrale Argumentation der Beklagten, die vom OGH geteilt wurde, ist formaljuridischer Natur: Die Bankenaufsicht durch die Finanzmarktaufsicht (FMA) diene dem öffentlichen Interesse an der Erhaltung der volkswirtschaftlichen Stabilität und habe keinen Schutz des Vermögens einzelner Gläubiger zur Aufgabe. Dieser Ansatz ist aber gerade volkswirtschaftlich (und damit in weiterer Folge auch rechtlich) kaum vertretbar, da sich diese Schutzebenen hier nicht trennen lassen. Ganz abgesehen davon, dass schon der Verweis auf "einzelne Gläubiger" in die Irre geht, da damit ein Bild entsteht, wonach hier Partikularinteressen Einzelner verfolgt werden sollten, während tatsächlich die große Masse der Gläubiger geschädigt worden ist, ist diese Aufsicht in ihrer volkswirtschaftlichen Funktion wesensimmanent mit dem Schutz der Gläubigerinteressen verbunden.

Bedenkliche Unsicherheit besteht jetzt fort

Dies war im Übrigen eine wesentliche Erfahrung, die insbesondere seit 2011 zur Neukonzeption der "Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion" geführt hat (Details dazu in Peter Hilpold: "Die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion", Springer 2021). Die breiten Ausführungen in diesem Urteil zur Unterscheidung zwischen dem Schutzzweck der "Interessen der Allgemeinheit" und jenen "einzelner Betroffener", denen pflichtgemäßes Handeln nur als Reflexwirkung einen Vorteil verschaffen würde, sind hier somit kaum angebracht.

Es muss auch die Frage aufgeworfen werden, weshalb hier keine Vorlage erfolgt ist. Der Verweis auf ein fast zwanzig Jahre altes EuGH-Urteil (C-222/02, Paul) sowie auf Bulgarska Nardona Banka (C-501/18 vom 25. März 2021) zu einem doch weitgehend anderen Sachverhalt können nicht wirklich überzeugen. Eine Vorlage in dieser richtungsweisenden Frage hätte Klarheit schaffen können, während jetzt eine bedenkliche Unsicherheit fortbesteht. Einmal mehr beweist sich hier die Richtigkeit dessen, was Ulrich Karpenstein in seinem Kommentarbeitrag in der Enzyklopädie des Europarechts so treffend als "Nichtvorlage als Bärendienst" beschrieben hat: Das Problem ist damit keineswegs vom Tisch, sondern wird sich, so steht zu befürchten, demnächst in neuem Gewand zeigen.

Gespannt kann man beispielsweise abwarten, ob der OGH im Ischgl-Verfahren vorlegen wird, wo es ebenfalls um eine behauptete "objektive Natur" eines Schutzgesetzes (in diesem Zusammenhang des Epidemiegesetzes) geht, von dem auch Unionsbürger angeblich keine subjektiven Ansprüche ableiten können - eine unionsrechtlich klar unhaltbare Position, mit der auf jeden Fall der EuGH befasst werden muss, sollten die nationalen Gerichte nicht autonom davon abgehen (zur Stärkung der Vorlagepflicht nationaler Gerichte siehe Peter Hilpold: "Stärkung der Vorlagepflicht letztinstanzlicher Gerichte" in 74 NJW 45/2021, Seiten 3.290 bis 3.294).

Problematisches Verneinen einer Amtshaftung

Ein weiterer problematischer Punkt des hier gegenständlichen OGH-Urteils betrifft das Verneinen einer Amtshaftung des Bundes aufgrund des verspäteten Einschreitens trotz Vorliegens von Hinweisen eines Whistleblowers schon im Jahr 2015. Hier wäre ein strafrechtlicher Verfolgungsanspruch auch aus unionsrechtlicher (und aus EMRK-rechtlicher!) Perspektive zu prüfen und insbesondere auch Paragraf 35c Staatsanwaltschaftsgesetz einer entsprechenden Prüfung zu unterziehen gewesen. Auch hierzu hätte über eine Vorlage beim EuGH eine längst notwendige Klärung erzielt werden können.

Das Frohlocken von Vertretern der Beklagtenseite über den Ausgang dieses Verfahrens mag als spontane Reaktion auf dieses Urteil verständlich sein. In der Sache ist aber - gerade für die Republik - Jubel über dieses Urteil nicht angebracht. Damit wird - abgesehen von den rechtstechnischen Fragen, die damit aufgeworfen beziehungsweise akzentuiert wurden - die Reichweite des Anlegerschutzes in Österreich erheblich in Zweifel gezogen. Gerade weil hier auch volkswirtschaftlich und mit den "Interessen der Allgemeinheit" argumentiert wurde: Es sollte bekannt sein, dass der Markt solche Risiken nun wohl einpreisen wird. Der Finanzmarkt Österreich kann durch diese doch sehr weitreichende Relativierung des Anlegerschutzes erheblichen Schaden nehmen. Dieser Schaden kann weit über das hinausgehen, was die Anleger nun als Schaden selbst zu tragen haben. Eine Schadensanlastung im Übrigen, die wohl auch in rechtsethischer Hinsicht Fragen aufwirft. Wenn Beklagtenvertreter den Anlegern als Folge dieses Urteils den Rat mitgeben, in Zukunft bei Anlagen genauer hinzusehen (nach dem Motto "Caveat investor!"), so sollte - gerade im Angesicht des Falls Commerzialbank Mattersburg - klar sein, dass ein solcher Ratschlag entbehrlich ist: Hier wird schlichtweg Unmögliches verlangt.

Die Instanz, die diese - nun verstärkten - Unsicherheiten gebührend berücksichtigen wird, ist der Finanzmarkt. Und die Kosten dafür werden - wie beschrieben - von der Allgemeinheit, letztlich von der österreichischen Volkswirtschaft, zu tragen sein.

In rechtlicher Hinsicht ist das letzte Wort in dieser Frage noch nicht gesprochen: Nun wären die europäischen Instanzen (insbesondere die EU-Kommission) am Zuge und auch ein Gang zum EGMR denkbar. Das europäische Rechtsschutzsystem ist leider sehr schwach ausgeprägt. Die beschriebenen Entwicklungen in Österreich könnten einen weiteren Anstoß geben, im Zuge der geplanten Reform der EU-Verträge ganz zentral auch am europäischen Rechtsschutzsystem zu arbeiten.

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