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Sozialer Sprengstoff an der Zapfsäule

Von Lydia Ninz

Gastkommentare
Lydia Ninz ist Wirtschaftsredakteurin mit eigenem Blog (www.lydianinz.at) und Buchautorin (gemeinsam mit Peter Kolba: "Diesel-Schäden. Wie Sie sich zur Wehr setzten können", myMorawa 2018).
© privat

Gegen Raffinerien als Kriegsgewinnler muss Österreich vorgehen.


Europas Raffinieren haben seit Kriegsbeginn ihre Netto-Gewinnmargen fast verdreifacht, hat die Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) festgestellt. Seit Februar verteuerte sich ein 50-Liter-Tank für Diesel um 24,60 Euro, für Benzin um 25,80 Euro. Davon ist etwas mehr als die Hälfte auf gestiegene Rohölpreise zurückzuführen, der Rest auf saftigere Brutto-Margen der Raffinerien. Dass die BWB keinen Wettbewerbsverstoß fand, liegt auf der Hand. Denn die Raffineriepreise für Treibstoffe entstehen nicht durch echten Wettbewerb am Markt, sondern orientieren sich an einem einzigen Maßstab: am Börsenpreis des Rotterdamer Produktenmarkts.

Damit haben sich Europas Anbieter auf ein sehr bequemes System geeinigt, das ihnen sichere Gewinne beschert. Der Preis für Diesel und Benzin wurde von einer Börse abhängig gemacht, auf der nur eine winzige Menge (5 bis 9 Prozent) gehandelt wird!

Die Raffinerien tun dabei so, als müssten sie jeden Liter Benzin und jeden Liter Diesel auf dieser Börse einkaufen. Selbst wenn sie ihre Treibstoffe ausnahmslos selber produzieren, verrechnen sie den Kunden stets diese Börsenpreise (für Tankstellen gibt es noch einen Aufschlag von 5 Cent je Liter dazu, der variiert kann). Sogar von ihren eigenen Tankstellen verlangen die Raffinerien diese satten Preise. Ganz so, als wäre zum Beispiel ein Cappuccino in ganz Europa genauso horrend teuer wie auf dem Markusplatz in Venedig.

Nach Kriegsausbruch in der Ukraine ist genau das passiert, was an den Börsen in Krisen immer passiert: Es gab zwar keine echte Knappheit an Diesel und Benzin, sie wurde lediglich befürchtet. Das genügte, um die Börsenpreise nach oben zu treiben. Und weil sich die Raffinerien an ihnen orientierten, kam es zu den enormen Spritpreissprüngen der vergangenen Monate. Gäbe es diese Bindung nicht, hätten sich die Autofahrer in Österreich seit Februar pro 50 Liter Tank bei Diesel 11,40 Euro und bei Benzin 12,60 Euro erspart.

Jetzt wird’s spannend: In Deutschland werden diese Börsenpreise als Vergleichsmaßstab ("Benchmark") für Preisverhandlungen betrachtet, an denen man nicht stur festhält. Ganz anders in Österreich, wo die Börsenpreise "direkt den Preis setzten", wie die BWB in ihrem Bericht anmerkt (Seite 28 Fußnote 39). Österreich ist also päpstlicher als der Papst.

Als Erstes muss Österreich diese automatische Bindung lockern und die Treibstoffpreise stärker auf die tatsächlichen Raffineriepreise abstellen. Dann ist zu prüfen, wie schnell und stark vor allem die Rotterdamer Preissenkungen bei uns spürbar werden. Europaweit ist das ganze System mit den Börsenpreisen zu überdenken.

Zu hohe Spritpreise zum Vorteil großer Konzerne sind keinesfalls im Interesse der Allgemeinheit. Sie haben eine Kostenlawine in Gang gesetzt und die Teuerungsrate befeuert. In der Folge steigen automatisch alle Gebühren und Auszahlungen, die an die Teuerungsrate gekoppelt sind (Wasser, Kanal, Versicherungen, Pensionen, Mieten). Preissteigerungen auf allen Ebenen führen zu starken Lohnerhöhungen, auf die Unternehmen mit Kündigungen reagieren. Armut, Verteilungskämpfe und soziale Konflikte sind programmiert.