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Krisenzeiten verlangen ein anderes Strommarktmodell

Von Lukas Mandl

Gastkommentare
Lukas Mandl ist EU-Abgeordneter der ÖVP (www.lukasmandl.eu).
© ÖVP

In Zeiten des Ukraine-Krieges und seiner Auswirkungen auf den Gaspreis führt sich das Merit-Order-Prinzip ad absurdum.


Wenn Preise für den Verbrauch weit jenseits der Entstehungskosten sind, dann kann man nicht simpel von "Marktpreisen" sprechen. Der Strompreis resultiert nicht aus einem gänzlich freien Markt, sondern aus einem regulierten. Die derzeit noch aktuellen Marktregeln (Merit-Order) verlangen, dass jede Megawattstunde so teuer veranschlagt wird, wie die letzte verbrauchte Megawattstunde in der Entstehung kostet. Wenn nun die letzte Megawattstunde im Gaskraftwerk produziert wird und Gas mit Absicht - aus der Kriegsabsicht des Kreml-Regimes - aberwitzig teuer ist, dann führt sich das Merit-Order-Prinzip ad absurdum.

Die Sanktionen gegen das Kreml-Regime und damit für Freiheit und Frieden Europas und der Welt wirken nachhaltig. Anders als Wladimir Putins Bomben auf zivile Siedlungen, in denen Kinder, Frauen und Männer wohnen, wirken sie nicht von einer Sekunde auf die nächste, und ihr Resultat sind nicht Bilder, die sich einprägen. Aber sie wirken mit einer unumkehrbaren Vehemenz. Das alte Kreml-Regime hatte schon vor dem Angriffskrieg Russland einen Bärendienst erwiesen und versucht, die freie Welt mit den Mitteln der hybriden Kriegsführung zu schwächen; durch den geopolitischen Paradigmenwechsel, den der Tabubruch eines Angriffskriegs samt Kriegsverbrechen mit sich gebracht hat, fällt die russische Volkswirtschaft ins Bodenlose. Die Sanktionen sind historisch die erste unblutige Verteidigung gegen einen blutigen Angriffskrieg.

Koppelung treibt Inflation

Seriöse parlamentarische Arbeit verlangt, die Rück- und Nebenwirkungen des Krieges zu antizipieren und zu Resilienz beizutragen. So habe ich mich im Juli mit der oben beschriebenen Koppelung von Strom- und Gaspreis auseinandergesetzt. Diese Koppelung ist heute ein echter Systemfehler; durch sie treiben wir systemisch selbst die Inflation. Man bedenke nur, wie sehr Strukturen und Produktionsprozesse und damit das Angebot - auch das Jobangebot! - vom Strom und damit vom Strompreis abhängen. So habe ich mit einer parlamentarischen Anfrage Anfang August die EU-Kommission aufgefordert, zu Alternativen zum Merit-Order-Prinzip beizutragen. Selbstverständlich braucht es auch in Zukunft Spielraum für Investitionen; und ist es offen, ob nur ein Aussetzen oder eher ein Auslaufen des Merit-Order-Prinzips angezeigt ist. Es freut mich, dass nun auch auf österreichischer Ebene - und ebenso in anderen EU-Mitgliedstaaten - einschlägig nachgedacht wird.

Der Nachdenkprozess sollte aber nicht zu lange dauern. Es geht um Krisenmanagement. Die EU-Kommission sollte alle Beteiligten rasch und transparent vernetzen, um Formalfehler zu vermeiden. Völlig absurd sind Fingerzeige oder gar Häme in Richtung jener Energieunternehmen, die aufgrund des oben beschriebenen Konstruktionsfehlers - der ja nur im Fall eines konstruiert hohen Gaspreises auftritt - Rekordgewinne erwarten. Sofern sich diese Unternehmen Lösungen im Sinne des Gemeinwohls gegen die Teuerung nicht verschließen, sondern aktiv mitwirken, ist ihnen Respekt zu zollen.

Nicht die einzige Maßnahme

Freilich geht es hier um eine gravierende Maßnahme gegen die Teuerung, aber keinesfalls die einzige. Freilich braucht es Krisenmanagement nicht nur gegen die Teuerung, sondern auch für Freiheit und Frieden, gegen Hungersnöte und deren Folgen; noch immer braucht es viel Aufmerksamkeit für den Verlauf der Pandemie; und der Klimawandel wird uns noch lange begleiten. Die "strategische Autonomie" Europas, oder - wie es in der neuesten Brüsseler Terminologie nun heißt - die "offene strategische Resilienz" unseres Kontinents wird sich besonders im Feld der Energiepolitik bewähren müssen.

Die jüngste Entwicklung um die Wien Energie lässt tief blicken und manches erahnen. Parteipolitisch motivierte Häme verbietet sich dennoch: erstens, weil das den Blick für die Ursache der Misere im Krieg des Kremls verstellen würde; zweitens, weil gerade in Zeiten, in denen Teile des politischen Spektrums parteipolitisch motivierte Häme ohne Maß und entkoppelt von der Realität zu ihrer dominanten Gangart gemacht haben, die anderen Teile sachlich und respektvoll bleiben sollten.