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Energie sparen statt Preise senken

Von Franz Schausberger

Gastkommentare

Was wir vom Ölschock 1973 lernen können.


Energiekrisen, ausgelöst von kriegerischen Ereignissen und verbunden mit horrenden Preissteigerungen und Inflation, sind nichts gänzlich Neues. Der Ölpreisschock als Folge des Jom-Kippur-Kriegs beendete 1973/74 eine Phase außergewöhnlicher globaler Prosperität, das "Golden Age" und auch in Österreich die längste Hochkonjunkturphase seit 1945 mit Wirtschaftswachstum, Vollbeschäftigung und wohlfahrtsstaatlichen Transferleistungen unter der Alleinregierung von Kanzler Bruno Kreisky (SPÖ).

Immer wieder wird aktuell darauf hingewiesen, dass der Anstieg des Verbraucherpreisindex durch Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine so hoch ist wie zuletzt Ende der 1970er. Man bezieht sich dabei auf die Preissteigerungen infolge des zweiten Ölschocks. In gleicher Dimension gab es aber auch Preissteigerungen im Jahr 1973/74 aufgrund der ersten Ölkrise. Die Bundesregierung heute schnürt ein umfassendes Milliardenpaket zur Linderung der Preissteigerungen, überlegt, gedrängt von nervösen Landespolitikern, denen demnächst Landtagswahlen ins Haus stehen, zusätzliche Preisdeckelungen und Steuererleichterungen.

Ein Blick zurück auf die politische Diskussion in Folge des ersten Ölschocks lohnt sich. Eine praktisch idente Situation führte damals unter Kanzler Kreisky zu unterschiedlich wirksamen Sparmaßnahmen im Öl- und Energiebereich, aber keinerlei Bereitschaft zu preissenkenden Maßnahmen für die breite Masse der Bevölkerung. Die mit 1. Jänner 1973 eingeführte Mehrwertsteuer trug zum Preisanstieg bei. Steuerliche Erleichterungen zur Preissenkung wurden vom damaligen Finanzminister Hannes Androsch rundweg abgelehnt.

1973 war der Auslöser für die Krise der Jom-Kippur-Krieg, der am 6. Oktober, am höchsten jüdischen Feiertag von Ägypten, Syrien und anderen arabischen Staaten gegen Israel begonnen wurde. Er endete mit einem UN-Waffenstillstand am 24. Oktober. Im Zuge des Krieges drosselten die arabischen Ölstaaten die Förderung drastisch. Über die USA wurde ein totales Ölembargo verhängt, weil diese Israel Waffen lieferten. Am 16. Oktober einigten sich die Länder des Persischen Golfs und die Opec darauf, den Preis für Rohöl um 70 Prozent zu erhöhen. Bei einigen Ölkäufern brach Panik aus, dieser gewaltige Preisanstieg löste in den Industrieländern schwere Rezessionen aus. Die zweite Ölpreiskrise 1979/80 wurde durch die Islamische Revolution im Iran und den Ersten Golfkrieg zwischen Irak und Iran ausgelöst.

Deutschland und auch Österreich waren stark betroffen. In Deutschland setzte man zunächst auf Beschwichtigung, doch dann wurde Ende November 1973 für drei Sonntage ein allgemeines Fahrverbot verordnet, zudem ein Tempolimit von 100 km/h für Autobahnen und 80 km/h für Landstraßen, Bundesbehörden heizten weniger und reduzierten die Beleuchtung. Doch der Benzin- und Ölverbrauch ging nicht wie erwartet zurück. Der Winter stand vor der Tür, Erdöl war die wichtigste Energiequelle, die Bundesrepublik Deutschland deckte 55 Prozent ihres Energiebedarfs mit Importöl, 75 Prozent davon kamen aus den arabischen Ländern.

In weiterer Folge entspannte sich die Lage im Nahen Osten, Ende Dezember 1973 beschlossen die Opec-Staaten die Ölproduktion wieder zu steigern, die drastischen Preiserhöhungen blieben jedoch aufrecht. In Deutschland wurden die gesetzten Sparmaßnahmen schrittweise wieder aufgehoben. Die Debatte über Einsparungsmaßnahmen und neue Energiequellen wie Wind-, Solar- und Atomstrom aber blieb. Es formierten sich Anti-AKW-Bewegung und andere neue soziale Initiativen, die schließlich in der Gründung der Grünen als Ökopartei mündeten.

Verspätete Maßnahmen

Führt man sich die Debatten im österreichischen Nationalrat in dieser Krisenphase zu Gemüte, so kann man erkennen, dass die Politik doch ziemlich anders agierte als heute. Zu Beginn spielte die Regierung Kreisky die Krise herunter, fanden doch am 21. Oktober wichtige Landtagswahlen in Oberösterreich statt. Der Intensivwahlkampf und der Wahltag lagen genau in der Phase des Jom-Kippur-Krieges. Nur keine Panik entstehen lassen, das war das Motto der SPÖ. Die ÖVP konnte 2,5 Prozentpunkte zulegen und erreichte die Hälfte der Mandate. Die SPÖ musste einen Verlust von 2,6 Prozentpunkten hinnehmen.

Handelsminister Josef Staribacher, dem die Hauptlast der politischen Diskussion aufgehalst wurde, verharmloste die Situation: Es gebe keine Krise, Österreich habe selbst genügend Öl- und Gasvorkommen. Nach der oberösterreichischen Landtagswahl schwenkte Kanzler Kreisky jedoch um: Er sprach jetzt von einer Krise. Die Folge waren ein 100-km/h-Tempolimit, eine Sonntagssperre für Tankstellen, einen autofreien Tag, die Energieferien und die Einführung der Sommerzeit. Dazu kamen noch teils skurrile Vorschläge wie die Abschaltung von Reklamen ab 22 Uhr, die Verkürzung des TV-Programms, Ölrationierung und Empfehlungen wie duschen statt baden oder nass statt elektrisch rasieren. Die meisten Maßnahmen wurden in Österreich erst zu einem Zeitpunkt gesetzt, als andere Länder diese längst wieder abschafften.

Im November 1973 musste der Handelsminister zugeben, dass die vertraglich vereinbarten Kohlelieferungen nur teils erfüllt wurden und daher Ersatzlieferungen gesucht werden mussten. Bei Gas bemühe man sich, das vertraglich abgesicherte Kontingent von 1,5 Milliarden Kubikmeter um ebenso viel durch Lieferungen aus Russland zu erhöhen. Die ÖVP verlangte die Erstellung eines umfassenden Energieplans, der auch die Bevorratung umfasste. Wegen der empfindlichen Preiserhöhungen verlangte die ÖVP, auf die Mehreinnahmen aus der Mehrwertsteuer auf Heizöl und Ölprodukte zu verzichten beziehungsweise sie zu senken. Die Mehrwertsteuer dürfe nicht ein gutes Geschäft für den Finanzminister werden. Die SPÖ-Regierung lehnte dies kategorisch ab, da sich sonst das Budgetdefizit vergrößern würde und die kleineren Einkommen davon nur wenig hätten. Obwohl die Rohölpreise seit der Nahost-Krise um 100 Prozent gestiegen waren und die Inflation bei etwa 9 Prozent lag, war Finanzminister Androsch nicht zu einer Preisdeckelung bereit.

Rot-schwarzer Streit

Die ÖVP warf Staribacher eine ständige Verunsicherung der Bevölkerung durch widersprüchliche Aussagen vor. Einmal erklärte er, dass die Vorratslage für Ölprodukte in Österreich mindestens so gut sei wie in der Schweiz und in Westdeutschland. Drei Tage später lautete sein Befund: "Wir sind nicht so gut bevorratet wie die Schweiz." Schon am 13. Dezember hatte Kanzler Kreisky erklärt, Österreich gehe "in die schwierigste Zeit seit 1945". Wenige Wochen später stellte er in der "Arbeiterzeitung" fest, dass man "von einer Krise überhaupt nicht sprechen kann" und es "keine Spur von einer Krise gibt". Der ÖVP-Abgeordnete Otto Mitterer resümierte: "Die Bevölkerung muss ja irre werden, wenn sie am selben Tag von den zwei zuständigen Herren ganz verschiedene Äußerungen hört." In ganz Österreich herrschten tatsächlich größte Versorgungsschwierigkeiten, leere Tankstellen und Schwierigkeiten bei der Dieselölversorgung in der Landwirtschaft. Österreich hatte nur ein einziges Zentralvorratslager, weshalb die ÖVP auch Vorratslager in den Bundesländern forderte.

Die SPÖ setzte in erster Linie auf Einsparungen im Energiebereich, insbesondere bei Erdöl. Die von den USA vorgeschlagenen Sanktionen, wie etwa Einstellung der Exporte und Hilfen in arabische Länder hätten nur einen Sinn, wenn ganz Europa mitmache, meinte der SPÖ-Abgeordnete Czernetz am 18. Dezember 1973. Frankreich und Großbritannien aber machten nicht mit, eine einheitliche europäische Energiepolitik kam daher nicht zustande. Die SPÖ sprach von einem "harten, bitteren Konkurrenz- und Existenzkampf", in dem es "keine europäische Solidarität, sondern nur nationalen Egoismus der übelsten Art" gebe. Das neutrale Österreich könne dank guter Beziehungen zu allen Staaten "bei etwas Sparsamkeit gut durchkommen".

Autarke Energieversorgung

Der SPÖ-Abgeordnete Köck forderte: "Österreich muss in den nächsten Jahren - noch mehr als bisher schon - auf dem Gebiet der Energieversorgung selbständig, autark, werden." Die SPÖ kündigte an, Österreich werde durch die Trans-Austria-Gasleitung, die von Russland nach Italien Erdgas transportiere, ab 1976 mehr Gas aus Russland zur Verfügung stehen. Dies zur Frage, wo die Wurzeln für die Abhängigkeit vom russischen Gas liegen. Man diskutierte auch damals die Rückkehr zu den Kohlereserven, die Umstellung auf neue Energien wie Sonnenenergie, Erdwärme, Wasserkraft und Atomkraft. Die ÖVP verwies auf die Warnungen des "Club of Rome" und der OECD, wonach beim derzeitigen Wachstum in längstens 25 Jahren sämtliche Rohstoffvorkommen verbraucht seien. Der SPÖ-Regierung wurde vorgeworfen, die Bergbauförderung zu kürzen, Personal abzubauen und die Produktion zurückzufahren. Viel symbolische Politik war auch dabei. Als die SPÖ-Regierung im Jänner 1974 zu einer Klausurtagung ins Helenental fuhr, schrieb die "Kleine Zeitung": "Die Minister fuhren auch per Bus zur Klausur - da waren die Fotographen noch dabei - und ließen sich dann am Donnerstag still und heimlich mit den Sechs- und Achtzylinderkarossen heimführen."

ÖVP-Chef Karl Schleinzer bot in einem Brief an Kreisky die konstruktive Zusammenarbeit seiner Partei mit der Regierung in der "wahrscheinlich schwierigsten Situation seit dem Jahre 1945" an. In dasselbe Horn stieß der frühere ÖVP-Handelsminister Mitterer: "Wir sind bereit, in der Stunde der Entscheidung in den Lebensfragen unserer Nation mit Ihnen zu arbeiten und Lösungen zu suchen, und zwar dann, wenn Sie uns ehrlich informieren, wenn Sie einen fairen Partner erwarten und wenn wir gemeinsam die Schwierigkeiten der Zeit meistern sollen." Und tatsächlich: In der Nationalratssitzung am 8. November 1973 wurde das Rohstofflenkungsgesetz mit den Stimmen der Regierungspartei und der Opposition von ÖVP und FPÖ so novelliert, dass dem Handelsminister fast uneingeschränkte Vollmachten zur Erdöl- und Kohleversorgung eingeräumt wurden. Auch ein gravierender Unterschied zu heute, siehe den Boykott der Erdgaslenkungsmaßnahmen-Verordnung durch die SPÖ-Opposition.

Rohöl aus Nahost

Zwei Drittel der Rohölversorgung kamen damals aus den unmittelbaren Nahost-Krisengebieten und den mit ihnen sympathisierenden Ländern und nicht einmal ein Drittel aus anderen Ländern, die ihre Lieferpflichten erfüllten. "Wieso hat man nicht an eine gewisse Risikoverteilung gedacht? Wieso hat man nicht den Grundsatz des Auf-mehreren-Füßen-Stehens durchgeführt?" Diese damaligen Fragen der ÖVP klingen auch heute bekannt.

Die FPÖ forderte, die Mehreinnahmen aus der Mehrwertsteuer bei Rohstoffen für den Ausbau der Bevorratung einzusetzen. Das Ergebnis der Beschwichtigungsversuche der Regierung "waren Hamsterkäufe, der Erfolg war ein Vertrauensverlust und die Überzeugung der Bevölkerung, dass die Regierung offensichtlich nicht in der Lage ist, die ihr gestellte Aufgabe zu meistern", resümierte der FPÖ-Abgeordnete Georg Hanreich. Der Nahost-Krieg sei zwar der Auslöser der Energiekrise, allerdings stehe dahinter ein langfristiger Prozess. Die Lieferländer hätten ihre Machtposition gegenüber den Industrienationen und die Abhängigkeit der Verbraucherländer erkannt und nicht die Absicht, davon wieder Abstand zu nehmen. Eine Analyse, die nun ein halbes Jahrhundert später - unter anderen Vorzeichen - ihre Gültigkeit nicht verloren hat.