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Wider den Mantel der Gleichgültigkeit

Von Daniel Green und Paul Schwarzenbacher

Recht
Es braucht strafrechtlichen Schutz, um künftig jugendliche Mensuropfer zu verhindern.
© adobe.stock / Archivist

Der Verein "Justizgeschichte und Rechtsstaat" organisierte das Symposium "Diktatur und Widerstand" zu Fragen der Gegenwart mit Blick auf die Vergangenheit.


Im Sommer, konkret von 29. Juni bis 1. Juli 2022, fand das Symposium "Diktatur und Widerstand" in Wien statt. Der Verein "Justizgeschichte und Rechtsstaat" organisierte die Veranstaltung gemeinsam mit dem Ludwig Boltzmann Institut für Grund- und Menschenrechte und dem Institut für Staats- und Verwaltungsrecht der Universität Wien. Ziel war, das Gedenken an alle Opfer der NS-Diktatur und die in dieser dunklen Zeit hingerichteten Widerstandskämpfer und Widerstandskämpferinnen hochzuhalten. Es braucht eine lebendige Erinnerungskultur und politische Bildung an Schulen, wenn verhindert werden soll, dass sich der Mantel der Gleichgültigkeit erneut über unsere Gesellschaft legt.

Am 30. Juni 1942 wurden zehn Eisenbahner aus St. Veit an der Glan in Kärnten am Landesgericht hingerichtet. Das 80. Gedenkjahr anlässlich der Hinrichtung dieser ersten "Politischen" wurde zum Anlass genommen, zentrale Themen wie die Dokumentation des Widerstands, die Funktion von Gedenkstätten, Transitional Justice und den Wert der politischen Bildung für die Gegenwart zu reflektieren und zu diskutieren.

Neben der Eröffnung der vom Verein "Justizgeschichte und Rechtsstaat" kuratierten Ausstellung "Demokratie-Menschenrechte-Rechtsstaat" am Ludwig Boltzmann Institut für Grund- und Menschenrechte wurden im Rahmen des Symposiums zahlreiche Diskussionsrunden und Vorträge ermöglicht. Die beträchtliche Anzahl an Teilnehmerinnen und Teilnehmer aller Altersgruppen und über alle Partei- und Weltanschauungsgruppen hinweg zeigt deutlich, dass das Gedenken nicht generationsgebunden ist. Gedenken heißt, sich gegen den Mantel der Gleichgültigkeit zu verwehren und sich zugleich Fragen der Gegenwart mit Blick auf die Vergangenheit zu stellen.

Jugendliche angelockt

Das Thema "Nationalsozialismus und Rechtsextremismus" ist und bleibt in den Schulen relevant, denn nach wie vor sind in Österreich Organisationen aktiv, die danach trachten, Jugendliche anzulocken und für ihre politischen Zwecke zu missbrauchen. Beispielsweise hat die sogenannte Identitäre Bewegung (IB) über Jahre hinweg gezielt versucht, Jugendliche politisch zu radikalisieren.

Der Österreichische Pennälerring (ÖPR), ein Dachverband sogenannter "schlagender" Schülerverbindungen in Österreich, Bayern und Südtirol, verlangt Jugendlichen unter dem Titel "Erfolgsfaktor Korporation" Risikobereitschaft ab und erläutert dazu: "Eine Mensur (sportlicher Zweikampf im studentischen Fechten) zu fechten heißt, seinen Mann zu stehen. Das erfordert Mut und Risikobereitschaft. Eine Mensur erweitert den geistigen und körperlichen Horizont" (Österreichischer Pennäler Ring (oepr.at), 3.9.2022). Spätestens, seit im Jahre 2001 einem Teilnehmer einer Mensur nahezu der Kopf gespalten wurde, ist die Strafbarkeit der Mensur wieder verstärkt ins Licht der medialen Öffentlichkeit gerückt.

Schutzfunktion des Staates

Des Pudels Kern ist, dass solch toxische Maskulinität teils schwerwiegende gesundheitliche Folgen mit sich bringt und strafrechtliche Unbestimmtheit die beteiligten Jugendlichen benachteiligt. Das Argument der Zulässigkeit der Einwilligung in eine leichte Körperverletzung geht in die Irre, denn hier greift die Schutzfunktion des Staates. Es braucht Aufklärung und umfassenden strafrechtlichen Schutz für die psychische und körperliche Unversehrtheit der Jugendlichen und, um zukünftige Mensuropfer zu verhindern. Es geht hier nicht um Studierende, sondern um Minderjährige.

Zudem ist die Mensur als Teil der sogenannten "burschenschaftlichen Erziehung" mit den Zielen der österreichischen Schule inkompatibel. Sie ist inkompatibel, da sie einen Widerspruch in sich darstellt, das heißt, einerseits Friedenserziehung anzustreben und Schläger- und Säbelkämpfe andererseits zu ermöglichen. Sie ist aber auch inkompatibel, da sie der Humanität und letztlich besonders der Offenheit und Toleranz gegenüber den Menschen als Grundwert der Schule widerspricht.

Kindeswohl an erster Stelle

Es ist möglich, einerseits für die Beibehaltung der Mensur für schlagende Verbindungen auf der Universitätsebene zu sein, doch andererseits kann - wenn es um Jugendliche geht - nur dringlich an alle Erziehungsberechtigten appelliert werden, das Kindeswohl an erste Stelle zu setzen und diesen Gewalttätigkeiten einen Riegel vorzuschieben. Zu beachten sind in dem Zusammenhang insbesondere die in § 138 Z. 2 und 7 ABGB geregelten wichtigen Kriterien bei der Beurteilung des Kindeswohls, sowohl die Fürsorge, Geborgenheit und der Schutz der körperlichen und seelischen Integrität des Kindes als auch die Vermeidung der Gefahr für das Kind, Übergriffe oder Gewalt selbst zu erleiden.

Neben dem zivilrechtlichen Schutz sind Kinder - nach Artikel 1 der UN-Kinderrechtskonvention jeder Mensch unter 18 Jahren - auch auf Verfassungsebene geschützt. So hat nach Artikel 1 des BVG Kinderrechte jedes Kind Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge, die für sein Wohlergehen notwendig sind. Dies umfasst selbstverständlich auch Schutz vor Gewalttätigkeiten im Zusammenhang mit milieubedingten Männlichkeitsnachweisen.

Weiters muss nach Artikel 1 des BVG Kinderrechte bei allen Maßnahmen öffentlicher und privater Einrichtungen, die Kinder betreffen, das Wohl derselben im Vordergrund stehen. Die Heranziehung des Strafrechts bei Fällen, in denen Kinder und Jugendliche im Rahmen einer Mensur verletzt werden, wäre durch das Kindeswohlvorrangigkeitsprinzip des Artikel 1 BVG Kinderrechte verfassungsrechtlich legitim.

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