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Europa und seine Bauern

Von Gerhard Poschacher

Gastkommentare
Gerhard Poschacher war langjähriger Leiter der agrarpolitischen Abteilung im Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft und ist als Publizist tätig.
© privat

Die Bilanz zu 60 Jahren Gemeinsamer Agrarpolitik ist insgesamt positiv.


Mit dem Vorschlag des französischen Außenministers Robert Schumann am 9. Mai 1950, eine Gemeinschaft im Dienste des Friedens zu gründen, wurde eine historische Idee geboren und das europäische Friedensprojekt gestartet. Aus den bitteren Erfahrungen zweier Weltkriege ging es darum, Gegner zu versöhnen und eine neue politische Architektur in Europa zu schaffen. Begonnen wurde mit der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Am 25. März 1957 wurde in Rom der Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) unterzeichnet, auf den sich die Staats-und Regierungschefs von Frankreich, Deutschland, Belgien, die Niederlande, von Luxemburg und Italien einigten.

Was heute, insbesondere seit dem russischen Aggressionskrieg in der Ukraine, wieder eine große Rolle in der politischen Diskussion spielt, nämlich die Versorgungssicherheit mit Rohstoffen und Ernährungsgütern, wurde schon vor 60 Jahren auf den Prüfstand gestellt. Das damalige Europa war unter anderem auf Importe von Agrar- und Ernährungsgütern angewiesen. Die Verbesserung der Produktivität in der Landwirtschaft, die Erzeugung qualitativ hochwertiger Nahrungsmittel und die Schließung der Versorgungslücke waren die wichtigsten Zielvorgaben für die Schaffung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). In der italienischen Stadt Stresa wurde, ausgehend von den Römischen Verträgen, der bäuerliche Familienbetrieb als Leitbild für die neue Landwirtschaftspolitik festgelegt.

Mitte der 1950er Jahre gab es in den Gründungsstaaten der EWG rund 65 Millionen Hektar landwirtschaftlich genutzter Flächen. Mehr als 17,5 Millionen Menschen waren damals in der Landwirtschaft beschäftigt, in Italien noch ein Drittel der Erwerbsbevölkerung, in Frankreich ein Viertel. Kleinere Betriebe bis unter 20 Hektar bestimmten in den meisten Regionen dieser Länder die Betriebsstruktur. Die Landwirtschaftsminister einigten sich 1962, also vor 60 Jahren, auf die Leitlinien einer Gemeinsamen Agrarpolitik, die im Artikel 39 in den Römischen Verträgen festgelegt wurden.

Die Ziele orientierten sich nicht nur an Erzeuger-, sondern auch an Verbraucherinteressen, was einheitliche Marktverwaltungen notwendig machte. Die GAP basiert bis heute auf drei klaren Prinzipien: Einheit des Marktes, Gemeinschaftspräferenz, die der Absatzförderung von EU-Agrar-und Ernährungsgütern Vorrang einräumt, und finanzielle Solidarität.

Jeder EU-Bürger zahlt für die GAP 25 Cent pro Tag

Die GAP ist bisher das einzige vergemeinschaftete Politikfeld in der EU, weshalb die Ausgaben bis heute immer wieder heftige Auseinandersetzungen innerhalb der verschiedenen politischen Parteien und zwischen den Mitgliedsländern (Nettozahler vs. Nettoempfänger) auslösen. Österreich ist mit 1,5 Milliarden Euro Nettozahler, Polen mit 13,2 Milliarden Euro größter Nettoempfänger. In den 1970ern wurden noch mehr als 70 Prozent des EU-Budgets für die Agrarpolitik ausgegeben, im mehrjährigen Finanzrahmen zwischen 1988 und 1992 waren es noch fast 60 Prozent, und zur Finanzierung der aktuellen Reformpolitik für die Land- und Forstwirtschaft im Rahmen des Green Deal werden von 2023 bis 2027 insgesamt 386,7 Milliarden Euro aus dem EU-Budget bereit gestellt, das sind 31 Prozent.

Die Struktur des EU-Haushalts hat sich in den vergangenen Jahrzehnten als Konsequenz von Reformen in der Landwirtschaftspolitik grundlegend geändert. Im Jahr 2021 entfielen 68 Prozent der EU-Agrarausgaben (56 Milliarden Euro) auf Direktzahlungen und 27 Prozent auf die ländliche Entwicklung. Nur noch 5 Prozent mussten für den Agrarmarkt aufgewendet werden. 1991 machten die Direktzahlungen nur 9 Prozent der EU-Agrarausgaben aus, während für die Marktstützung (Exporte, Lagerhaltung) noch 91 Prozent aufzubringen waren. Aktuell zahlt jeder EU-Bürger 25 Cent pro Tag für die GAP.

Schon bald nach Einführung der GAP wurden die Aufwendungen einer kritischen Analyse unterzogen und die Auswirkungen auf die Einkommen der landwirtschaftlichen Betriebe sowie Preise für die Verbraucher überprüft. Die Kritik reichte von subventionierter Unvernunft über falsche Verteilung bis zu großzügiger Verschwendung öffentlicher Gelder, die den Strukturwandel in der Agrar- und Ernährungswirtschaft blockiere und für die Verbraucher keine Wohlstandseffekte auslöse. 1968 legte der damalige Agrarkommissar Sicco Mansholt den umstrittenen Plan zur Schaffung moderner landwirtschaftlichen Unternehmen und größerer Produktionseinheiten vor, der mit dem Ziel "Wachsen oder Weichen" ansatzweise umgesetzt wurde.

In Österreich wurde die landwirtschaftliche Förderungspolitik zwischen 1964 und 1970 stärker auf leistungsfähige Vollerwerbsbetriebe ausgerichtet und strukturpolitische Maßnahmen (Besitzaufstockung, Produktivitätssteigerung, Rationalisierung) forciert. In den 1970ern reifte aber die Erkenntnis, die Agrarpolitik stärker in Entwicklungsstrategien für die fast 200 Regionen in der damaligen EG zu integrieren und auch Maßnahmen für die Berggebiete zu entwickeln. Die Folgen der zunehmenden Massentierhaltung in einigen EU-Ländern mit dem Rinderwahn 1992, ökologische Schäden durch intensive Produktionsmethoden im Pflanzenbau sowie steigende Überschüsse, insbesondere bei Milch, erforderten immer mehr Gelder für die Exportfinanzierung und Marktstützung. Die Milchquote, die erst 2015 ausgelaufen ist, war unter anderem die Folge dieser Entwicklung.

Auf dem europäischen Binnenmarkt behauptet

Seit der Uruguay-Runde 1992 sind im Rahmen der WTO-Regelungen die Agrarmärkte liberalisiert, Marktordnungen wurden aufgelöst und dafür Förderungen für bäuerliche Betriebe an Umweltauflagen gebunden. Agrarkommissar Ray MacSharry präsentierte dem Rat der Landwirtschaftsminister 1992 grundlegende Reformvorschläge für die GAP, die eine Abkehr von der Produktpreisstützung zugunsten mehr ökologischer Landwirtschaft vorsahen. Agrarkommissar Franz Fischler (1994 bis 2004) gelang mit der "Agenda 2000/2003" eine grundlegende und auch nach Beschlussfassung des Green Deals noch gültige Neuorientierung der EU-Landwirtschaftspolitik. Die Entkoppelung der Direktzahlungen von der Produktionsmenge sowie Bestimmungen für die Umwelt-, Lebensmittel- und Futtermittelsicherheit sowie Tierschutz finden sich auch im Reformpaket 2023 bis 2027 wieder, ebenso Maßnahmen gegen den Klimawandel und für eine nachhaltige Energiewende.

Trotz berechtigter Kritik an der zunehmenden Bürokratisierung der EU-Agrarpolitik mit verstärkten Kontrollauflagen hat sich Österreichs Agrar- und Ernährungswirtschaft auf dem europäischen Binnenmarkt behauptet. Seit dem EU-Beitritt 1995 haben sich die Exporte von agrarischen Rohstoffen, Lebensmitteln und Getränke wertmäßig mehr als verzehnfacht. Neben Wohlstandsgewinnen entstanden hunderttausende neue Jobs. Auch wurde der Konsumpatriotismus für heimische und regionale Lebensmittel befeuert.

Bedenklicher Strukturwandel und Bodenversiegelung

Der Strukturwandel in der Land- und Forstwirtschaft setzte sich allerdings fort und bereitet Sorgen in Bezug auf Ernährungssouveränität und Umwelt, zumal die Bodenversiegelung mit 11,5 Hektar pro Tag ein europäischer Spitzenwert ist. Zubetonierter Boden vermindert die Selbstversorgung, schränkt die Biodiversität und die Wasserspeicherfähigkeit ein. In den vergangenen 30 Jahren ist die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe um 45 Prozent auf 155.000 gesunken, das Ackerland ist um 86.000 Hektar auf 1,321 Millionen Hektar zurückgegangen und das intensiv bewirtschaftete Grünland um 287.000 Hektar auf 574.000 Hektar.

Insgesamt hat die landwirtschaftlich genutzte Fläche in Österreich seit dem EU-Beitritt 1995 von 3,427 Millionen Hektar auf 2,189 Millionen Hektar abgenommen, Tendenz weiter sinkend. Die durchschnittliche Gesamtfläche der bäuerlichen Betriebe ist ständig gestiegen, von 28,2 Hektar (1995) auf 44,9 Hektar. Der Umbau des land- und forstwirtschaftlichen Förderungssystems, der Übergang vom Betriebsprämien- auf das Regionalmodell und die erfolgreiche Umsetzung der ländlichen Entwicklungsstrategie haben wesentlich zur ökologischen Neuorientierung der heimischen Agrarpolitik beigetragen.

Zwischen 2014 und 2021 wurden zwei Drittel des Agrarbudgets (2,25 Milliarden Euro) für das Herstück der Agrarpolitik, die ländliche Entwicklung, aufgewendet. 24.500 Biobetriebe bewirtschaften inzwischen 26 Prozent der Flächen, fast 80 Prozent der Betriebe nehmen am Umweltprogramm teil. Die Ausgleichszulage, insbesondere zur Existenzsicherung von Bergbauernhöfen wurde 2021 von 81.700 Betrieben in Anspruch genommen. Mit 80.000 Hektar Naturschutzflächen und 16 Prozent "Natura 2000"-Gebieten hat Österreich den ökosozialen Weg konsequenter beschritten als andere EU-Länder. Öffentliche Gelder machten in den vergangenen 20 Jahren rund drei Viertel der landwirtschaftlichen Einkünfte aus. Seit dem EU-Beitritt ist der Produktionswert der Land- und Forstwirtschaft von 5,85 Milliarden Euro (1995) auf 8,09 Milliarden Euro (2021) gewachsen.

Direktzahlungen und mehr Geld für Biolandbau

Der neue Strategieplan für die GAP 2023/2027 wurde heuer am 27. April im Parlament beschlossen und basiert weiterhin auf den Säulen der Direktzahlungen und mehr Budget für die ländliche Entwicklung, insbesondere für den Biolandbau. Der Green Deal wird aber von Land- und Forstbetrieben hinsichtlich der Umverteilungspolitik zugunsten kleinerer Betriebe kritisiert und als Gefährdung der Ackerbauwirtschaft mit der Feststellung kommentiert, Österreich sei nicht nur ein Land der Berge. Die geopolitische Lage in Folge des Ukraine-Kriegs und die damit verbundene Gefährdung der Ernährungssicherheit in der EU könnten dazu führen, dass der Green Deal überdacht wird und zusätzliche Flächen (Brachen) für die Agrarproduktion genutzt werden müssen.

Insgesamt ist die Bilanz nach 60 Jahren EU-Agrarpolitik und 27 Jahren EU-Beitritt positiv. Die Produktivität in der tierischen und pflanzlichen Produktion ist stark gestiegen. Die Zusammenarbeit zwischen Landwirtschaftsministerium, Landesregierungen und Landwirtschaftskammern funktioniert. Und die 1992 gegründete Agrarmarkt Austria (AMA) hat sich als Auszahlungsstelle, Kontrollinstitution und vor allem hinsichtlich des Marketings für Agrar- und Ernährungsprodukte bewährt. Das AMA-Gütesiegel hat das Vertrauen der Verbraucher in heimische Nahrungsmittel gestärkt, wozu auch die Arbeit der 1994 errichteten Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherung (Ages) beiträgt.

Mit dem Green Deal der EU gilt es nun, insbesondere den Haupterwerbsbetrieben Perspektiven aufzuzeigen und das System der Direktzahlungen sowie die öffentlichen Gelder für die Abgeltungen von Umweltleistungen nicht in Frage zu stellen. Nur so bietet das Zukunftskonzept für die nachhaltige Agrarwirtschaft den Bauern als Landwirte (Ernährung), Energiewirte (nachwachsende Rohstoffe) und Umweltwirte (Arten- und Boddenschutz, Biodiversität) Perspektiven.