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Die Frauen, der Albtraum der Mullahs

Von Behrouz Khosrozadeh

Gastkommentare
Behrouz Khosrozadeh ist Politologe iranischer Herkunft und Lehrbeauftragter am Institut für Demokratieforschung der Universität Göttingen. Er hat als einer von 246 Länderexperten am Transformationsindex der Bertelsmann Stiftung mitgewirkt. Buchtipp: "Iran: Der Destabilisator".
© privat

Die junge iranische Generation der 1990er und 2000er will es richten.


Der gewaltsame Tod der 22-jährigen Mahsa Amini im Polizeigewahrsam wegen Verstoßes gegen die islamische Kleiderordnung löste landesweite Proteste aus, die weiterhin andauern und somit die größte Herausforderung für das Mullah-Regime darstellen. Die Misshandlungen und das Sterben durch die Gewalt der Moralpolizei sind nichts Neues im Iran, doch Amini war nicht nur eine Frau, sondern auch Kurdin. Sie wurde somit zum Symbol für Frauen und für Kurden.

Seitdem reißt die Protestwelle, die in der Provinz Kurdistan ihren Ausgang nahm und sich landesweit ausbreitete, nicht ab. Allein beim Angriff der Sicherheitskräfte auf Bürger in der Stadt Zadedan - der Hauptstadt der iranischen Provinz Sistan und Belutschistan - wurden am vergangenen blutigen Freitag mindestens 42 Menschen getötet und 197 weitere verletzt. Iranische Sicherheitskräfte greifen Bürger mit Kriegsmunition an. Obgleich alle gesellschaftlichen Schichten präsent sind, ragen zwei Gruppen durch besonders starke Teilnahme heraus: die in den 1990ern und 2000ern geborenen Generationen und die Frauen.

"Frau - Leben - Freiheit", lautet der neue Hauptslogan der Demonstranten, der eine Art Systemkampf beinhaltet. Die Symbolik reicht vom Werfen des Kopftuches ins Feuer bis zum Abschneiden der Haare - eine historisch in einigen Gebieten des Iran verbreitete Geste der Trauer um Verstorbene, die nun aber auch als Geste des Zorns, der Rebellion und der Forderung nach Selbstbestimmung verstanden wird.

Frauen als treibende Kraft damals und heute

Iranische Frauen waren eine treibende Kraft beim Sturz der säkularen Monarchie im Iran 1979. Sie waren auch das erste Opfer der Revolution und mithin die erste gesellschaftliche Gruppe, die sich nach den ersten Anzeichen einer streng-religiösen Diktatur gegen den Verschleierungszwang wehrte. Am Internationalen Frauentag im März 1978, nur einen Monat nach Beginn der Revolution - zogen einige hunderttausende Frauen durch die Straßen Teherans. Sie wurden von Männern, die das Thema nicht zu den Prioritäten der Revolution zählten, alleine gelassen. Kopftücher und Schleier wurden mit Gewalt durchgesetzt, aber die Frauen gaben nie auf. Das Symbol der "Grünen Bewegung" war auch die junge Neda Agha-Soltan, die bei den Demonstrationen 2009 getötet wurde.

Während die anderen Proteste fast nur der Mittelstand ("Grüne Bewegung" 2009) oder weitgehend ärmere Schichten (2017 und 2019) trugen, gehen nun alle gesellschaftlichen Gruppen und Schichten auf die Straße und fordern den Sturz der Mullahs. Diesmal nicht wegen sozio-ökonomischer Missstände, sondern weil sie die Tyrannei gegenüber Frauen nicht mehr dulden. Diese Proteste sind keine vorübergehenden Versammlungen mehr, sondern haben sich zu einer allumfassenden Bewegung entwickelt. Sollte es ihnen gelingen, diese mit landesweiten Streiks zu verbinden, wäre der Albtraum der Mullah-Schreckensherrschaft zu Ende.

Die bereits erwähnte Jugend der 1990er und 2000er verkörpert jene soziale Gruppe, die nicht die Geduld hat, den von der Islamischen Republik in der Öffentlichkeit aufgezwungenen Lebensstil zu tolerieren. Sie flieht nicht vor den Sicherheitskräften, sondern setzt sich zu Wehr, greift sie sogar heftig an und setzt ihre Fahrzeuge in Brand. Eine solche Gegenwehr war in diesem Maß bisher nicht bekannt. Diese Gruppe ist dem Sieg über die Mullahs näher, als es ihre gescheiterten Vorgänger waren.

Die Führung in Teheran wird nie von selbst aufgeben

Das Regime geht mit gewohnt brutaler Härte und einer Verhaftungswelle vor, die besonders prominente Kunstschaffende trifft, die via Tweets oder Videoclips ihre Unterstützung für die Demonstranten kundtaten. Einige prominente iranische Schauspielerinnen haben aus Protest ihren Hijab öffentlich plakativ abgelegt. Ex-Bayern-Star Ali Karimi, Asiens Fußballer des Jahres 2004, ist knapp der Verhaftung entronnen, sein Vermögen soll konfisziert werden. Der Reisepass der Fußballlegende Ali Daei wurde einkassiert und ein Ausreiseverbot verhängt. Noch nie hat es derart weltweite Unterstützung für iranische Proteste gegeben, und noch nie sind so viele Iraner weltweit auf die Straßen gegangen. Sollten die Mullahs auch diese Krise überleben, sitzt die Schlinge noch enger um ihrem Hals.

Was soll nun die internationale Gemeinschaft tun? Sie muss endlich begreifen, dass die Mullahs unverbesserlich sind und nie aufgeben werden, im Inland der Bevölkerung ihre Steinzeit-Ideologie aufzuoktroyieren und nach außen ihr aggressives Verhalten gegenüber Nachbaren an den Tag zu legen, ein gefährliches Raketen- und Atomprogramm voranzutreiben sowie Terrorismus weiter zu verbreiten. Fereydoun Abbasi, früherer Direktor der iranischen Atomenergieorganisation, gab im November 2021 in einem Interview zu, dass Mohsen Fakhrizadeh, der ermordete Ex-Leiter des Atomwaffenprojekts des Regimes, an einem System zur Herstellung einer Atombombe gearbeitet hatte - obwohl der Oberste Führer des Iran, Ali Khamenei, offiziell eine Fatwa (islamisches Rechtsurteil) gegen Atomwaffen erlassen hatte.

Also wurden zur selben Zeit, als die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) damit beschäftigt war, die Umsetzung der Verpflichtungen des Iran zu bestätigen, dessen Atomwaffenkapazitäten weiterentwickelt wurden. So gesehen wurde auch die IAEA nach Strich und Faden getäuscht. Das erklärt, warum der aktuelle IAEA-Direktor Rafael Grossi unnachgiebig auf die Aufklärung der verdächtigen nicht-deklarierten Atomanlagen im Iran besteht.

Als einziger UN-Mitgliedstaat fordert der Iran die Vernichtung eines anderen Staates (Israel). Keine Regierung schießt absichtlich eine Passagiermaschine ab (ukrainische Maschine mit 176 Toten). Das iranische Atomprogramm ist derart gefährlich geworden, dass Experten einen Angriff auf Israel für sehr wahrscheinlich halten. Der Iran ist für das bisherige Scheitern der Verhandlungen verantwortlich. Und statt aufgrund der miserablen ökonomischen Lage den EU-Kompromissvorschlag mit Handkuss anzunehmen, stellen die Mullahs absurde Forderungen. Dazu kommen gefährliche Cyberangriffe im Juni gegen Albanien, das in der Folge die diplomatischen Beziehungen zum Iran abgebrochen hat, oder an die russische Armee gelieferte iranische Kamikaze-Drohnen mit hoher Reichweite in hoher Stückzahl, die nun der Ukraine arge Probleme bereiten.

Die Aktivierung des Satelliten-Internets für Iraner, um damit die Online-Blockade der Regierung umgehen zu können, ist ein wertvoller Schritt, auch ein Ausschluss des Iran von der Fußballweltmeisterschaft in Katar wäre sinnvoll, aber nicht ausreichend. Die Vereinten Nationen müssen handeln, und der Sicherheitsrat sollte eine Dringlichkeitssitzung einberufen, um die Lage im Iran zu überprüfen und 85 Millionen Menschen vor Folter, Unterdrückung und Tod zu schützen. Die Akte des Iran muss dem UN-Sicherheitsrat übergeben werden. Es gibt genügend Indizien und Beweise, die dafür sprechen, dass der Iran die internationale Sicherheit im Sinne von Kapitel 7 der UN-Charta gefährdet.