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In Vielfalt geeint

Von Heinrich Neisser

Gastkommentare
Heinrich Neisser, geboren 1936 in Wien, ist promovierter Rechtswissenschafter und emeritierter Professor für Europapolitik an der Universität Innsbruck. Er war hochrangiger ÖVP-Politiker und unter anderem Minister für Föderalismus und Verwaltungsreform (1987 bis 1989) und Zweiter Nationalratspräsident (1994 bis 1999).
© privat

Herausforderungen der österreichischen Volksgruppenpolitik.


Der Umgang des Staates mit Minderheiten ist ein wichtiger Gradmesser für die Qualität demokratischer Systeme - Toleranz, Fairness und Bereitschaft zur Zusammenarbeit, im Besonderen auch gegenüber ethnischen Minderheiten. Die österreichische Volksgruppenpolitik hat in den vergangenen Jahrzehnten einen wechselvollen Verlauf genommen und nur wenige Fortschritte gebracht. Die Minderheitenpolitik war in den 1970ern und 1980ern vom Kärntner Ortstafelkonflikt überschattet, eine breit angelegte Volksgruppenpolitik war daher nicht möglich. Erst eine politische Vereinbarung in der Ortstafelfrage und die Beschlussfassung des Volksgruppengesetzes im Jahr 1976 haben einen neuen Stellenwert der Volksgruppenpolitik gebracht.

Ein entscheidender Schritt wurde im Jahr 2000 durch eine Verfassungsnovelle aufgrund eines Vierparteienantrages im Nationalrat beschlossen. Dadurch wurde im Artikel 8 der Bundesverfassung eine Staatszielbestimmung mit folgendem Wortlaut aufgenommen: "Die Republik (Bund, Länder und Gemeinden) bekennt sich zu ihrer gewachsenen sprachlichen und kulturellen Vielfalt, die in den autochthonen Volksgruppen zum Ausdruck kommt: Sprache und Kultur, Bestand und Erhaltung dieser Volksgruppen sind zu achten, zu sichern und zu fördern."

Diese Verfassungsnovelle kann als Paradigmenwechsel von der Assimilation zur Integration angesehen werden. Die Reform war nur ein Anfang einer Modernisierung und Neugestaltung des Volksgruppenrechtes. Bemühungen um Reformen in Richtung dieses Staatszieles wurden nicht umgesetzt. Das gilt insbesondere auch für einen Entwurf, den das österreichische Volksgruppenzentrum im Jahr 2012 präsentierte.

Angesichts der Erfolglosigkeit der zahlreichen Bemühungen um eine Reform erscheint es geradezu überraschend, dass die türkis-grüne Bundesregierung in ihrem Regierungsprogramm diesem Thema besondere Aufmerksamkeit widmet. Auf Seite 13 wird unter dem Titel "Volksgruppen" eine umfassende und substanzielle Reform angekündigt: eine Neukodifikation der verfassungsrechtlichen Bestimmungen über die Volksgruppen, eine Verbesserung der Volksgruppenförderung im Zusammenwirken zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, eine stärkere Sichtbarmachung im ORF sowie die Einrichtung einer Arbeitsgruppe über die Einbeziehung der Volksgruppenvertretungen zur Prüfung einer Modernisierung der Volksgruppenvertretung. Besondere Bedeutung wird den Volksgruppensprachen im institutionellen Raum (Amtssprache, Finanzamt) sowie der zweisprachigen Bezirksgerichtsbarkeit der Volksgruppen eingeräumt. Schließlich ist eine Prüfung der Anerkennung der jenischen Volksgruppe vorgesehen.

Minderheitenrecht ist keine innere Angelegenheit mehr

Aktuell ist nicht erkennbar, ob die jetzige Bundesregierung diesen Teil ihres Programmes umsetzen wird und einen Reformprozess einleitet. Ein Nichttätigwerden wäre ein fatales Zeichen von Regierungsunfähigkeit und böte ein schlechtes Bild in der internationalen Welt. Die in den vergangenen Jahren erfolgte Internationalisierung beziehungsweise Europäisierung des Minderheitenschutzes hat dazu geführt, dass das Minderheitenrecht keine innere Angelegenheit der Nationalstaaten ist, sondern zu einem Netz internationaler Strukturen geführt hat. Zwar bleiben die Staaten primäre Verantwortungsträger für ihre Minderheiten, sie sind aber in ein internationales System einer besonderen Verantwortung eingebunden.

So hat etwa die UNO, für die der Minderheitenschutz eine wichtige Komponente der Konfliktprävention ist, im Menschenrechtsrat eine "Universal Periodic Review" eingeführt, in der Mitgliedstaaten Empfehlungen zur Verbesserung der Menschenrechte abgeben können. Der Europarat, der in Europa eine führende Rolle vor allem durch die Charta der Regional- und Minderheitensprachen und durch das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten spielt, hat in eben diesem Rahmenübereinkommen europäische Standards zur Erreichung "effektiver Gleichheit" festgesetzt und die Überwachung des Rahmenübereinkommens durch das Ministerkomitee vorgesehen. Österreich ist diesen internationalen Vereinbarungen unter Anwendung einiger Vorbehalte beigetreten.

Im Vergleich zu den Aktivitäten des Europarates sind die Fortschritte der Europäischen Union im Bereich des Minderheitenschutzes relativ bescheiden. Wohl hat der Europäische Gerichtshof in einem Urteil schon im Jahr 1958 festgestellt, dass Minderheitenschutz als "legitimes Ziel" vom Gemeinschaftsrecht zu respektieren ist. Und im EU-Vertrag sind im Artikel 2 die Werte der Europäischen Union erwähnt, zu denen auch die "Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören", zählt. Ebenso ist für neu beitretende Staaten zur EU dieser Wert als Voraussetzung für den Beitritt genannt. Enttäuschend war die Ablehnung einer Verankerung der Grundsätze von Minderheitenrechten in den Diskussionen um eine Grundrechtscharta der Europäischen Union, die im Jahr 2000 stattfand.

Mehrere Versuche von Teilnehmern dieses Gremiums, die Grundlage für einen dem Autonomiegedanken entsprechenden Aufbau der Selbstverwaltung ethnischer Minderheiten zu verankern, blieben erfolglos. Sie scheiterten am Widerstand der Vertreter Frankreichs und Spaniens, die eine verstärkte Aktivität in ihren Problemzonen - Korsika und Baskenland - fürchteten. Als Kompromiss kam dann lediglich in der Charta im Artikel 22 eine Allerweltsformel zur Geltung: "Die Union achtet die Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen." Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass von der EU wenige Impulse für eine Weiterführung des europäischen Minderheitenschutzes zu erwarten sind.

Ständiger Dialog mit den Volksgruppen

Es gibt viele Gründe, die dafür sprechen, dass Österreichs Bundesregierung ihre programmatische Ankündigung wahr macht. Eine Reform des Volksgruppenrechtes und eine Neuorientierung der Volksgruppenpolitik könnten den Volksgruppen eine neue Dynamik verleihen. Ihre Rolle im transnationalen Kulturleben ist wichtig. Sie sind, so der Diplomat und Historiker Emil Brix, unverzichtbare wertvolle Botschafter, die für die Aufrechterhaltung der Verständigung und des Dialogs Sorge tragen. Volksgruppen erfüllen eine Brückenfunktion für die Vielfalt und eine erweiterte europäische Kooperation.

Um dieser Funktion gerecht zu werden, müssen sie zu einem ständigen Dialog eingeladen werden. Die Initiative dazu kann auch von ihnen ausgehen. Ein nachahmenswertes Beispiel bietet die slowenische Volksgruppe, die sich seit Jahren um eine ständige Kommunikation in Volksgruppenfragen bemüht. Auch heuer fand Ende September eine Tagung mit dem Titel "Gemeinsam/Skupno" statt, die dem Thema "Volksgruppenpolitik - Politik von gestern oder Politik für morgen" gewidmet war. Diese Tagung ist traditionell geworden und eine Plattform der Begegnung zwischen Experten, Politikern und Menschen, die ein besonderes Interesse an einer Entwicklung der slowenischen Volksgruppe haben. Die Mitwirkung der Jugend hat Priorität und gibt den Diskussionen einen besonderen Charakter. Diese Aktivität der slowenischen Volksgruppe könnte als Modell für einen permanenten Dialog im Volksgruppenbereich dienen.