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Wenn die Zeit stillsteht

Von Sabine M. Fischer

Gastkommentare
Sabine M. Fischer, Inhaberin von Symfony Consulting, ist Wirtschaftsmediatorin und Unternehmensberaterin in Wien. Sie ist Sprecherin des Arbeitskreises Industrie 4.0/IoT und Aufsichtsratsvorsitzende des Verbandes Österreichischer Wirtschaftsakademiker.
© Symfony / Klaus Prokop

Das Geld, das "Gesetz der zwei Füße" und die "lecke Pipeline".


"Die große Fluchtbewegung (...) wird den negativen Effekt auf die Wirtschaft noch verstärken", beschreibt Gerhard Mangott die Auswirkungen des "Gesetzes der zwei Füße" für die russische Politik. Wenn Menschen sich in Massen in Bewegung setzen, dann eröffnen sich neue Notwendigkeiten, verändern sich Strukturen, und alte Gewissheiten werden neu hinterfragt. Das gilt im Krieg ebenso wie am Arbeitsmarkt.

Fachkräfte, die zuverlässig sachkundig arbeiten, waren immer schon Mangelware und Unternehmen von jeher recht erfinderisch, um diese seltene Spezies für das eigene Unternehmen zu gewinnen: Heimarbeit ist keine Erfindung der Corona-Pandemie, Vereinbarkeit von Familie und Beruf haben Klein- und Mittlere Unternehmen (KMU) auch schon im vorigen Jahrhundert ermöglicht, um gutes Personal halten zu können, und diverse Weiterbildungen wurden vor-, mit- oder zur Gänze finanziert, um in der Region als attraktiver Arbeitgeber die hellsten Köpfe anzusprechen.

Während Unternehmen die Mitarbeiterzufriedenheit, die Führungskultur und die Arbeitsplatzgestaltung zu hinterfragen und zu modernisieren begannen, schien in staatsnahen und staatlichen Organisationen die Zeit stillgestanden zu sein: Ein wenig "Employer Branding" behübschte das weiterhin gelebte Prinzip des "Ober sticht Unter". Überreglementierung bei gleichzeitig herrschender Willkür in Teilbereichen, mangelnde Kontrolle und Erneuerung von Führungskulturen, fehlende Möglichkeiten der Mitgestaltung von Arbeitsbedingungen durch die Mitarbeitenden bei gleichzeitiger mangelnder Wertschätzung für geleistete Arbeit und zu oft schlicht zu wenige Ressourcen an Zeit, Raum, Werkzeugen an der Front der operativen Umsetzung frustrieren ohne Ende.

Vieles in der staatlichen Organisation von Pflege, Gesundheit, Bildung, Kinderbetreuung und Justiz erschien schon vor der Corona-Pandemie als eine Ansammlung von Potemkinschen Dörfern: Medial vermarktete Einzelprojekte täuschten mehr oder weniger über die wachsende Misere des althergebrachten Führungsverständnisses einer Ministerialbürokratie hinweg.

Doch nun trifft auch diese das "Gesetz der zwei Füße": Baby-Boomern, die sich in Richtung Pension bewegen, folgt niemand, der ihre Arbeitsplätze übernehmen würde. Und sollte es doch jemand probieren, so ist die Verweildauer in den Jobs, die essenziell für unsere Gesellschaft sind, zu kurz.

Es ist erstaunlich, wie viele Millionen Euro jetzt in die Ausbildung von Personal für die soziale Infrastruktur unseres Landes gesteckt wird. Wieder glaubt man, sich die Anpassungsleistung, die konkreten Arbeitsplatzsituationen unserem Wissensstand über menschengerechte Arbeitsorganisation anzugleichen, ersparen zu können. Wieder drücken sich die Entscheider um eine Neugestaltung herum. Und wieder bleibt "an der Front" alles beim Alten.

Wenn das erlernte Wissen der Ausbildung auf eine Arbeitsrealität trifft, in der keine Anwendung möglich und der Widerspruch zu den Prinzipien der Wertschätzung und der positiven Selbstwirksamkeit zu groß ist, dann führt das "Gesetz der zwei Füße" zu einer "lecken Pipeline", die mit Geld nicht zu stopfen ist.