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Wirken die EU-Sanktionen gegen Russland?

Von Gabriel Felbermayr

Gastkommentare
Gabriel Felbermayr ist Direktor des Österreichischen Institutes für Wirtschaftsforschung (Wifo) und Universitätsprofessor an der Wirtschaftsuniversität Wien.
© Wifo / Alexander Müller

Die Wirtschaft leidet stärker als die der EU. Auf politischer Ebene ist der Erfolg nur schwer messbar.


Trotz massiver Sanktionsbemühungen des Westens ist die wirtschaftliche Kernschmelze in Russland ausgeblieben. Anstelle eines Einbruchs von 10 Prozent, fällt das russische BIP laut jüngsten Prognosen heuer wohl "nur" um 3,5 Prozent. Aber auch die EU-Länder im Osten konnten sich der befürchteten Wirtschaftskrise bisher entziehen, trotz ihrer hohen Abhängigkeit von russischen Rohstoffen. Auch für Österreich musste das Wifo trotz Rekordinflation die Prognose für 2022 auf 4,8 Prozent anheben.

Die Sanktionen wirken weniger stark als im Frühjahr angenommen, und zwar auf beiden Seiten des Wirtschaftskrieges. Das hat verschiedene Gründe. Der wichtigste ist wohl, dass es im Sanktionsregime große Löcher gibt. Der Handel mit Russland ist zwar eingeschränkt, aber nicht zum Erliegen gekommen. Außerdem haben neben der EU und den USA nur wenige andere Länder Maßnahmen gegen Russland verhängt. So konnte es den westlichen Sanktionen vor allem im Erdölbereich ausweichen - wenn man offiziellen Daten glaubt, ist die Erdölproduktion nur ganz leicht eingebrochen. Die EU nimmt immer noch gut 40 Prozent der russischen Öllieferungen ab. Obwohl russisches Erdöl nur mit deutlichen Abschlägen verkauft werden kann, sind die Einnahmen daraus bisher kaum gesunken. Und beim Gas hat die Preisexplosion in Europa den deutlichen Mengeneinbruch überkompensiert.

Das wird aber nicht so bleiben: Die Preise fallen, beim Gas aktuell sogar sehr deutlich, und die Mengen ebenfalls. Zusätzlich wird die russische Wirtschaft die negativen Effekte des westlichen Technologieembargos und der eigenen Teilmobilmachung immer stärker spüren. So wird Russland 2023 wieder eine Rezession in der diesjährigen Dimension erleben. In Summe kommt man dann wohl schon in die Nähe der im Frühjahr geschätzten Effekte von 10 Prozent. In der Eurozone sieht es anders aus. Auf 3,2 Prozent Wachstum heuer folgt 2023 zwar eine Abschwächung auf 0,5 Prozent, aber keine Rezession. In Österreich gilt Ähnliches. Daher stimmt nach wie vor, dass Russland wirtschaftlich viel stärker leidet als die EU.

Auf der politischen Ebene ist der Erfolg von Sanktionen nur schwer messbar. Mit strategisch denkenden Akteuren würden Sanktionen nur verhängt, wenn der Regelbruch des Aggressors diesem mehr Vorteile brächte, als die absehbaren Sanktionen Schaden stiften. Andernfalls würde der Aggressor ja vom Regelbruch Abstand nehmen und die Verhängung von Sanktionen vermeiden. Man darf also nicht naiv erwarten, dass verhängte Sanktionen einen politischen Rückzieher bewirken. Anders wäre es, wenn die Sanktionen härter ausfielen als erwartet. War das bei Russland der Fall? Eher nein, zumal die Sanktionskoalition klein und der Erfolg von Sekundärsanktionen bisher beschränkt blieb.

Die Wirkung von Sanktionen ist eher im Vorfeld zu suchen - wenn sie als Drohung im Raum stehen. Die effektivsten Sanktionen sind jene, die gar nicht erst verhängt werden müssen. Dieser Punkt ist bei Russland überschritten. Hoffentlich kommt es in anderen Fällen - man denke an China und Taiwan - nicht soweit.