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Die erhoffte wie gefürchtete Kirchenreform

Von Paul M. Zulehner

Gastkommentare
Paul M. Zulehner ist Theologe und katholischer Priester. Der Religionssoziologe und emeritierte Universitätsprofessor forscht mit eigenen Umfragen zu brennenden Themen der Weltkirche (www.zulehner.org).
© Erzdiözese Wien

Zur Synodalisierung der katholischen Weltkirche.


Die junge Bewegung, die Jesus ausgelöst hatte, nannte sich selbst am Beginn "Anhänger des Weges" (Apostelgeschichte 9,2). Sie verbreitete sich im Römischen Reich unglaublich schnell. Maßgeblich trugen dazu profane Versammlungen in den Theatern bei.

Ihr Format haben die christlichen Gemeinden den Gewohnheiten ihrer Zeit angepasst, so berichtet der Bonner Neutestamentler Martin Ebner: Türken, Griechen und Römer kannten die "Ecclesia", die öffentliche Versammlung. Bei dieser herrschte eine genaue Sitzordnung: Vorne saßen die Senatoren, in weißer Tunica mit zwei breiten roten Streifen; dann waren die Freien der Stadt angeordnet, gekleidet in eine weiße Toga; und schließlich hinten die Freien ohne Bürgerrecht sowie die Sklaven, alle in ihrer grau-braunen Arbeitskleidung; oft war noch ein eigener Rang - völlig abgeschottet von den anderen - für die Frauen eingerichtet.

Kein oben und unten, sondern alle gleichwertig

Das Revolutionäre bei den Versammlungen der Jesus Nachfolgenden war nun: Alle waren gleich. Alle konnten in der ersten Reihe sitzen. Alle hatten nämlich durch die Taufe Christus "angezogen". Das hat sie eins gemacht. Paulus, selbst Anhänger der Bewegung geworden, konnte so an die Versammelten in Galatien schreiben, sie seien "nicht mehr Juden und Griechen, Sklaven und Freie, Männer und Frauen, sondern eins geworden in Christus" (Galater 3,28).

Menschheitsalte Diskriminierungen wurden aufgehoben: die rassistische, die ökonomistische und die sexistische. Es herrschte - so formulierte es später das Zweite Vatikanum im Dekret über die Kirche - aufgrund der Wiedergeburt in Jesus Christus (also der Taufe) eine wahrhafte Gleichheit an Würde und Berufung. Die Weggemeinschaft war in ihrem Wesen egalitär.

Dies sind nun alles Merkmale einer ursynodalen Kirche. "Syn odos" heißt ja nichts anderes, als miteinander auf dem Weg zu sein. Und in dieser Weggemeinschaft gibt es kein oben und unten, sondern unter allen Mitgliedern eine fundamentale Gleichheit. Allen war die Offenbarung des Geistes zum Wohle aller geschenkt (1. Korinther 12,7). Natürlich kannten die Gemeinschaften die Gabe von "einem, der euch leitet"; aber es war eine dienende Begabung unter vielen und in der Aufzählung jener der Propheten, Wunderheiler oder Glaubensstarken nachgereiht (1. Korinther 12, 10).

Mit dem Eintritt ins Römische Reich veränderte sich die soziale Form der Gemeinschaft. Aus der Bewegung im Untergrund wurde eine durchorganisierte Reichskirche. Sie übernahm die Spielregeln des Reiches. Der Übergang in die Massenkirche durch schnelle Taufen beschleunigte die Entwicklung. Fachleute sprechen von einer inneren Spaltung, die sich ausbildete: einem "pastoralen Schisma" (Zitat Paul Audet).

Entsynodalisierung und Resynodalisierung

Der Klerus stand nunmehr den Volksmassen gegenüber. Aus der Ordination der einen wurde die Subordination der anderen abgeleitet. Der Klerus betreute und versorgte, das Volk gehorchte. Jahrhundertelang war dies nun die soziale Gestalt des Christentums. Die fundamentale Gleichheit der Getauften ging ebenso verloren wie die Überzeugung, dass der Auferstandene als der eigentliche Herr der Kirche durch den allen gegebenen Geist die Gemeinschaft im Glauben bewahrte und durch die Zeit führte.

Ihren Höhepunkt erreichte diese entsynodalisierte Kirchengestalt auf dem Ersten Vatikanischen Konzil (1869/1870). Ein wegen des Einfalls der Franzosen nicht mehr verabschiedetes Dokument wollte eine Zwei-Stände-Kirche festschreiben. Kirche waren vor allem die Kleriker. Diese widerstanden nicht immer der Versuchung, den Dienst in gewaltförmige Vollmacht umzuwandeln. Es ist jene Form der Amtsausübung, die Papst Franziskus heute mit dem Begriff "Klerikalismus" geißelt und überwinden will.

Das Zweite Vatikanische Konzil (1962 bis 1965) kehrte hinsichtlich der sozialen Gestalt der Kirche zu den biblischen Gründungsurkunden zurück. Die Entsynodalisierung sollte beendet und das pastorale Grundschisma überwunden werden. Die verlorene "Brüderlichkeit" (Zitat Josef Ratzinger 1963), die wahrhafte Gleichheit aller, sollte nicht nur rechtlich, sondern auch im Alltag der Kirche wiedergewonnen werden. Nicht nur die Kleriker, die Priester, Bischöfe und der Papst sind Kirche, sondern alle Getauften bilden diese "Communio" (Gemeinschaft).

Daraus folgt, dass es in der Kirche keine Unberufenen und Unbegabten gibt. Alle sind berufen und begabt, der Mission der von Jesus ausgelösten Bewegung zu dienen. Deren einziges Ziel ist, so Jesus wiederholt, das Kommen des Reiches Gottes auf die Erde. Dieses bringt den neutestamentlichen Schriften zufolge Gnade, Gerechtigkeit, Wahrheit, Frieden und Freude. Ziel der Bewegung ist es nicht, dass alle Menschen in den Himmel kommen (was Gott hoffentlich zuwegebringen kann und wird), sondern "dass der Himmel schon jetzt auf die Erde kommt" (Zitat Klaus Hemmerle), in Spuren wenigstens.

Schlüsselbegriffe: Mission, Gemeinschaft, Partizipation

Alle sollen somit an dieser Mission der Gemeinschaft mitwirken, sich beteiligen. Damit sind die drei Schlüsselbegriffe im Untertitel des Aufrufs von Papst Franziskus zum Synodalen Weg der Weltkirche genannt: Mission, Gemeinschaft, Partizipation. Mit diesen drei Begriffen wird praktisch realisiert, was die Kirche in ihrem Wesen ist: synodal, eine Weggemeinschaft, die der Welt von heute dient.

Der Synodale Weg der Weltkirche setzt damit das Zweite Vatikanische Konzil konsequent fort. Diese Aussage enthält auch die Kritik, dass dessen Umsetzung zwar nach dem Konzil unter den Päpsten Paul VI. und Johannes Paul I. rasch angegangen wurde. Dann aber bremsten Johannes Paul II. und Benedikt XVI. diesen Reformschwung ab.

Zum 50-jährigen Jubiläum des Konzils sagte Papst Franziskus in einer Predigt am 16. April 2013: "Das Konzil war ein großartiges Werk des Heiligen Geistes. Denkt an Papst Johannes: Er schien ein guter Pfarrer zu sein, er war dem Heiligen Geist gehorsam und hat dieses Konzil begonnen. Aber heute, 50 Jahre danach, müssen wir uns fragen: Haben wir da all das getan, was uns der Heilige Geist im Konzil gesagt hat? In der Kontinuität und im Wachstum der Kirche, ist da das Konzil zu spüren gewesen? Nein, im Gegenteil: Wir feiern dieses Jubiläum, und es scheint, dass wir dem Konzil ein Denkmal bauen; aber eines, das nicht unbequem ist, das uns nicht stört. Wir wollen uns nicht verändern und es gibt sogar auch Stimmen, die gar nicht vorwärts wollen, sondern zurück: Das ist dickköpfig, das ist der Versuch, den Heiligen Geist zu zähmen. So bekommt man törichte und lahme Herzen."

Es wird kein leichter Weg, den Papst Franziskus mit der Weltkirche in den vielen Kulturen der Welt gehen will. Der kluge Umgang des Papstes mit der Riesenorganisation Weltkirche zeigt allerdings, dass er zwar vielleicht nicht allzu viele Reformen durchsetzen kann, aber zumindest einen unumkehrbaren Reformprozess in Gang gebracht hat.