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Kein Ausweg für Nordirland aus der Sackgasse

Von Dieter Reinisch

Gastkommentare
Dieter Reinisch ist Historiker an der Universität Galway und Autor von "Learning behind bars: How IRA prisoners shaped the peace process in Ireland" (University of Toronto Press).
© privat

Neuwahlen wären keine Lösung für die britische Provinz.


Nordirland steckt wieder in der politischen Sackgasse. Ein Ausweg daraus zeichnet sich diesmal nicht ab. Vorigen Freitag verloren alle Regierungsmitglieder ihre Posten, nachdem eine 24-Wochen-Frist für die Bildung einer neuen Regierung ausgelaufen war. Seit Februar hat Nordirland keine Regierung; damals verließ die probritische Democratic Unionist Party (DUP) die Koalition aus Protest gegen das Nordirland-Protokoll, das mit der EU ausgehandelt worden war. Durch dieses Zusatzabkommen erhielt die Provinz eine Sonderstellung, die sie im Europäischen Binnenmarkt behält. Unter nordirischen Unionisten führte dies zu Protesten, da sie keine Andersbehandlung von Großbritannien wünschen.

Bei den Wahlen im Mai gewann die republikanische Sinn Féin die meisten Sitze im Regionalparlament Stormont. Ihr steht nun laut dem Karfreitagsabkommen von 1998 der Posten der Regierungschefin zu. Der DUP-Boykott dient auch dazu, Sinn Féin von der Macht fernzuhalten.

Selbst falls es vor Weihnachten noch zu Neuwahlen kommen sollte, würden diese nicht aus der politischen Sackgasse herausführen. Denn auch danach würde Sinn Féin wohl die stärkste Partei bleiben und das Nordirland-Protokoll in seiner derzeitigen Form immer noch bestehen.

Zwar reden die EU und die Regierung in London erstmals seit Februar wieder miteinander, eine Lösung wird aber schwierig und Verhandlungen werden langatmig. Der neue britische Premier Rishi Sunak will eine Verhandlungslösung erreichen. Dass am Montag die Northern Ireland Protocol Bill, die es ermöglichen würde, Teile des Protokolls - etwa die ungeliebten Warenkontrollen - unilateral auszusetzen, im House of Lords debattiert wurde, wird Brüssel nicht freuen: Die EU sieht darin einen Bruch internationaler Abkommen. Zugleich ist es den nordirischen Unionisten zu wenig: Sie wollen das Protokoll ganz weghaben.

Dieser Widerspruch ist das grundlegende Problem Nordirlands - ohne klare Line und Entscheidungen in London wird es in Belfast keine Lösung geben können. Doch Nordirland-Staatssekretär Chris Heaton-Harris zögert seit Freitag, Entscheidungen zu treffen, und verspricht regelmäßig, "demnächst" Ankündigungen zu machen. Am Dienstag traf er sich mit den nordirischen Parteichefs. Hauptthema der Gespräche: Gehaltskürzungen für Abgeordnete, solange Stormont nicht arbeitet.

Wenn die Regierung in London davon ausgeht, dass es nach einer Neuwahl ab Jänner eine funktionierende Regierung geben wird, wieso will sie dann für die nächsten Wochen die Gehälter der nordirischen Abgeordneten kürzen? Es scheint, als würde sie keine Lösung suchen und selbst resignieren. Heaton-Harris hat dadurch völlig jede Autorität und Glaubwürdigkeit verloren.

Derweilen spitzt sich die Lage zu: Probritische, loyalistische Paramilitärs konsultieren gerade ihre Basis, ob der 1994 ausgerufenen Waffenstillstand weiter bestehen bleiben soll. Die Bevölkerung will nicht zurück zum Krieg, doch das Desinteresse und die Ahnungslosigkeit in London und Brüssel werden neue Gewalt hervorrufen. Nächsten April wird sich das Karfreitagsabkommen, das 1998 den blutigen Konflikt beenden sollte, zum 25. Mal jähren - es wird immer unwahrscheinlicher, dass es in der derzeitigen Form den 26. Jahrestag erleben wird.