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Eine leichte Trendwende in der Geldpolitik

Von Katherine Neiss

Gastkommentare
Katherine Neiss ist Chefvolkswirtin für Europa bei PGIM Fixed Income.
© PGIM Fixed Income

Die Zinserhöhungen in Europa könnten kurz vor dem Höhepunkt stehen.


In ganz Europa ist eine leichte Änderung des Tempos bei den jüngsten Zinserhöhungen zu beobachten, da sich die Zentralbanken auf die Verwaltung ihrer Bilanzen konzentrieren. Das bedeutet, dass die Zentralbanken ihre Straffung der finanziellen Bedingungen fortsetzen und gleichzeitig die Funktionsweise der Wirtschaft verbessern können. Außerdem gibt es den Verantwortlichen die Möglichkeit zu sehen, wie sich die früheren Zinserhöhungen auf die Realwirtschaft auswirken. Die Betonung des Instruments der quantitativen Verschärfung ("Quantitative Tightening") kann auch mehr Spielraum für spätere Zinserhöhungen schaffen, sollte die Inflation anhalten und erneut eine aggressive Straffung erfordern.

Vor diesem Hintergrund besteht die wichtigste Veränderung des wirtschaftlichen Umfelds darin, dass die Wirtschaft im vierten Quartal zu schrumpfen beginnt. Unsere Prognose geht von einer stärkeren Verlangsamung aus als allgemein angenommen, da das Schlimmste noch bevorzustehen scheint. Obwohl eine zweistellige Inflation sicherlich besorgniserregend ist, zeigt die detaillierte Betrachtung ein ganz anderes Bild als der Verbraucherpreisindex in den USA, da die Inflation in Europa immer noch hauptsächlich von den Lebensmittel- und Energiepreisen getrieben wird, während die Preisänderungen bei den Dienstleistungen im Monatsdurchschnitt rückläufig sind.

Wir glauben daher, dass die Zinserhöhungen in Europa kurz vor dem Höhepunkt stehen könnten - zumindest vorerst. EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat betont, dass es für weitere Erhöhungen "noch Luft nach oben" gebe, aber die Europäische Zentralbank habe erhebliche Fortschritte auf dem Weg zur Normalisierung gemacht. Wir gehen nun davon aus, dass die EZB im Zuge ihrer DezemberSitzung den Zinssatz für die Einlagefazilität um 50 Basispunkte anheben wird, sodass dieser auf 2 Prozent steigen, dort über den Winter pausieren und schließlich bei weniger als 3 Prozent seinen Höhepunkt erreichen dürfte.

Sollte die Inflation jedoch weiterhin nach oben überraschen - insbesondere, wenn die Erwartung sich dahingehend entwickelt, dass die Inflation das Ziel der EZB von 2 Prozent nicht nur kurzzeitig, sondern auf Dauer übersteigen wird -, könnte sich ein solcher Zinsschritt als verfrüht erweisen. In diesem Fall würden wir mit weiteren Zinserhöhungen rechnen, die in der Spitze jenseits von 3 Prozent liegen dürften.

Die gute Nachricht inmitten der wachsenden Wolke der Unsicherheit ist, dass die Länder der Peripherie den jüngsten Energieschock einigermaßen gut zu verkraften scheinen. Und fast ein Jahrzehnt nach der Staatsschuldenkrise hat die Pandemie die sich verbessernden Kreditprofile der Peripherieländer nicht entgleisen lassen, da sogar Griechenland kurz davor zu stehen scheint, in den Investment-Grade-Bereich aufzusteigen. Auch wenn die hohe Schuldenquote Italiens im Verhältnis zum BIP besorgniserregend ist, hat sich das Land im historischen Vergleich verbessert, und das anhaltende Wachstum dürfte der Wirtschaft helfen, den Energieschock abzufedern.