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Österreichs medienpolitische (Un-)Kultur

Von Beate Meinl-Reisinger

Gastkommentare
Beate Meinl-Reisinger ist Klubobfrau der Neos.

Journalismus ist eine Säule der Demokratie, keine GmbH des Bundeskanzleramtes.


In ihrem knapp 320-jährigen Bestehen hat die "Wiener Zeitung" über enorme Umbrüche berichtet. Nun ist sie mit der Frage, wie es weitergeht, selbst zum Objekt der Berichterstattung geworden. An der Debatte wird wieder einmal offensichtlich, dass in Österreich eine medienpolitische Unkultur vorherrscht.

Im Oktober hat Ministerin Susanne Raab (ÖVP) einen Ministerialentwurf zur Zukunft der "Wiener Zeitung" vorgestellt. In die Unabhängigkeit wurde die "Wiener Zeitung" nicht entlassen. Stattdessen sollen ein "Media Hub Austria" zur Aus- und Weiterbildung für Journalistinnen und Journalisten und eine neue "Content-Agentur Austria" entstehen.

Raabs Gesetzesentwurf lässt tief blicken in das medienpolitische Verständnis dieser Bundesregierung. Nicht mehr staatlich geförderte Journalistenausbildung, sondern staatliche Journalistenausbildung unter der Kontrolle des Kanzleramtes lautet das Credo. 6 Millionen Euro werden dafür jährlich veranschlagt. Dabei geht es nicht darum, die Besten mit ausreichend finanziellen Mitteln auszustatten, sondern die Deutungshoheit über die Berichterstattung zu erlangen. Viktor Orban lässt grüßen.

Mit einer GmbH unter Kontrolle des Bundeskanzleramts erneuern auch die Grünen ihr etatistisches Bekenntnis. In der gesamten Frage um die Zukunft der "Wiener Zeitung" stand die Option, diese in ein unabhängiges Medienprojekt umzuwandeln, nie zur Debatte. Anstatt sicherzustellen, dass die Medien frei von Regierungseinfluss agieren können, verkommt Österreich immer mehr zu einem Netz aus Geld, Inseraten und Verhaberung.

Macht braucht Kontrolle. Politik braucht Journalismus, der ihr mit Unabhängigkeit und der notwendigen Distanz begegnet. Bedingt durch eine Medienlandschaft, die zu einem großen Teil abhängig ist von Einnahmen durch Inserate, wird der Anspruch an journalistische Unabhängigkeit zum Balanceakt. Unter Österreichs medienpolitischer Unkultur hat nicht nur das Vertrauen in die Politik, sondern auch jenes in die Medien selbst gelitten. Ablesen lässt sich diese Entwicklung aus dem "Digital News Report 2022" der Universität Oxford. Demnach vertrauen weniger als die Hälfte der Befragten den Medien in Österreich.

Die Begutachtungsfrist für das neue Bundesgesetz über die "Wiener Zeitung" läuft noch bis zum 30. November 2022. Ministerin Raab muss diese Frist nutzen und den Reset-Knopf drücken. Denn Zeitungen sind keine "Content-Agenturen", und das Bundeskanzleramt ist kein "Media Hub" für journalistische Ausbildung.

Das Gebot der Stunde sind eine Neuaufstellung der Medienförderung und eine Ausgabengrenze für Inserate öffentlicher Stellen. Den Rest erledigen die Journalistinnen und Journalisten schon selbst. Journalismus agiert schließlich als eigenständige Säule der Demokratie, nicht aber als Gesellschaft mit beschränkter Haftung des Bundeskanzleramtes.

Jeden Dienstag lesen Sie an dieser Stelle den Kommentar eines Vertreters einer Parlamentspartei.